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Der Elefanten-Tempel

Der Elefanten-Tempel

Titel: Der Elefanten-Tempel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ueberreuter
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näher als zuvor. Gleich darauf schrammte sein Stoßzahn am Stamm ihres Baumes vorbei, ließ ein paar Handbreit Rinde abbröckeln. Ricarda blieb die Luft weg vor Angst. Aus der Nähe sah der Zahn gigantisch aus; glatt, weiß-gelblich, mit dünnen schwarzen Linien und dunklen Verfärbungen an manchen Stellen.
    Verzweifelt sah sie sich um, hielt Ausschau nach Hilfe. Aus dem Augenwinkel bemerkte sie, dass weiter hinten, in der Herde, ebenfalls etwas geschah. Ein Elefant hatte sich aus der Gruppe gelöst, trottete heran. In den ersten Momenten war Ricarda zu durcheinander, um ihn zu erkennen. Doch dann sah sie das leicht ausgefranste rechte Ohr: Devi! Niemand saßauf ihrem Rücken. Sie war allein, ohne Mahout . Wo war Nuan?
    Plötzlich verschwand der Stoßzahn wieder aus Ricardas Blickfeld. Dafür ragte ein zweiter grauer Körper direkt hinter dem Baum auf. Was passierte gerade? Drängte sich Devi zwischen Khanom und den Baum? Ja, es sah fast so aus. Die große Elefantin versuchte dem Bullen den Weg zu Ricarda zu versperren!
    Doch das ließ sich Khanom nicht bieten. Er knuffte das Weibchen weg, und mit verschlungenen Rüsseln rangen die beiden, versuchten sich gegenseitig zurückzudrängen. Wie erstarrt beobachtete Ricarda diesen Kampf, der fast direkt vor ihr stattfand. Der Boden vibrierte wie bei einem Erdbeben. Staub wirbelte auf, nahm Ricarda die Sicht. In Todesangst presste sie sich wieder gegen den Baum. Fort, nur fort!, hämmerte es in ihr. Doch wegzulaufen war auch jetzt nicht möglich; das Risiko, in diesen Kampf zu geraten und versehentlich zertrampelt zu werden, zu groß.
    Sie konnte erkennen, dass Khanom stärker war als Devi. Er drängte sie zurück und sein Stoßzahn zog eine blutige Schramme über ihre Schulter. Ricarda schrie auf. Devi war verletzt! Würde sie jetzt aufgeben? Nein, sah nicht so aus, sie trompetete wütend und ging noch einmal auf Khanom los …
    Auf einmal war jemand neben ihr, ein Mann in Jeans und T-Shirt. Nuan! Erleichterung überflutete Ricarda. Endlich half ihr jemand. Und ausgerechnet Nuan. Vor Dankbarkeit wurden ihr die Knie weich.Sie krächzte seinen Namen, wollte ihn fragen, was sie jetzt tun konnten, doch er ließ sie gar nicht zu Wort kommen.
    »Da hoch, beeil dich!«, sagte er und deutete auf den Baum. Ricarda fand, das war eine ganz hervorragende Idee, aber wie sollte das gehen? Es gab keine Astgabeln in Griffhöhe, sonst hätte sie das mit dem Hochklettern längst selbst versucht.
    Nuan sprang, zog sich mit einem Klimmzug an einem Ast hoch, saß auf einmal rittlings oben und reichte ihr eine Hand herunter. Ricarda ergriff seine Hand, stemmte sich mit den bloßen Füßen am Stamm ab und hangelte sich hoch, so gut es ging. Sie schrammte sich die Haut dabei auf, doch der Schmerz war fern und unwichtig. Bloß weg, bloß weg!
    Etwas weiter oben hatte der Baum mehr Äste, auf die man die Füße stellen konnte, dadurch war das Klettern einfacher und sie brauchte Nuans Hilfe kaum noch. Unter ihr wogten graue Leiber, war die Hölle ausgebrochen. Erst als Ricarda ein gutes Stück vom Erdboden entfernt war, erlaubte sie sich kurz zu verschnaufen. Es fühlte sich an, als passe keine Luft mehr in ihre Lunge.
    »Weiter, weiter!«, brüllte Nuan sie an, ja, es reichte noch nicht, so hoch konnte Khanom noch mit dem Rüssel greifen. Gerade prallte der riesige Bulle bei der Rangelei gegen den Stamm und Ricarda fühlte, wie der Ast unter ihren Füßen erzitterte. Verbissen klammerten sie und Nuan sich fest. Etwas flatterte ausRicardas Hosentasche, ein buntes Stück Papier, das Lotterie-Los!
    Es flog dem Bullen mitten ins Gesicht. Er schaute verdutzt, dann senkte er den Kopf und stieß mit dem Stoßzahn nach dem Papier. Das gab Ricarda und Nuan die Gelegenheit, noch ein wenig höher zu klettern. Ganz langsam entspannte sich Ricarda etwas. Als sie das nächste Mal nach unten schaute, war der Erdboden schwindelerregend weit entfernt. Jetzt waren sie bestimmt außer Reichweite! Das Los stak wie eine kleine bunte Flagge auf Khanoms Zahn.
    Sie sah, dass Kaeo angerannt kam. Er hatte seine schnittige Sonnenbrille auf, schleppte einen Plastikeimer mit Früchten und rief Khanom irgendetwas zu. Und tatsächlich, einen Moment lang ließ sich das riesige Tier von seinem Mahout und den Leckerbissen ablenken, es langte nach einer Ananas.
    Nuan hangelte sich wieder nach unten. Einen Moment lang waren sie fast auf gleicher Höhe, sah sie die glatten Muskeln seiner Arme und den abgewetzten hellblauen Stoff

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