Der Elefanten-Tempel
verletzt, dabei ist es nur ein Kratzer. He, Devi, steh still!«
Erst jetzt merkte Ricarda, dass noch etwas im Refuge geschah: Vor dem Tor parkte ein großes weißrotbraunes Auto mit laufendem Motor und ein paar Männer in grauen Uniformen standen dort.
»The police!«, sagte jemand.
Ricarda war verdutzt. Wer hatte denn die Polizei gerufen? Chanida oder Gulap?
Kaeo ließ ein paar schnelle Sätze in Thai los, wahrscheinlich um zu erklären, dass die Krise vorbei war und der Elefant wieder unter Kontrolle. Doch die Polizisten dachten nicht daran, zu gehen. Sie rüttelten am Tor, stellten fest, dass es gar nicht so leicht zu öffnen war, und spuckten ein paar Befehle aus.
Erst als Ricarda noch mal zu Nuan hinüberblickte und sah, wie blass und starr sein Gesicht geworden war, begriff sie, dass etwas nicht stimmte. Dass die Polizei nicht wegen Khanom gekommen war, sondern wegen Nuan. Und es war zu spät für ihn, sich auf seine bewährte Art unsichtbar zu machen, er hatte fast keinen Vorsprung. Hatten die Polizisten ihn schon gesehen?
Neugierig gingen Sofia und Chanida zum Haupttor und winkten Ricarda, sie solle nachkommen. Ricarda dachte gar nicht daran. »Geh zu meiner Hütte«, flüsterte sie Nuan zu, während alle Köpfe entweder Khanom oder dem Polizeiauto zugewandt waren.
Nuan nickte, ohne sie anzusehen, und raunte seiner Elefantin einen Befehl zu. Dann schlenderten er und Ricarda in unterschiedliche Richtungen davon. Undauch Devi machte sich auf den Weg, in den Wald hinein, fast als sei sie es gewohnt, ihren riesigen Körper dort zu verbergen.
Ricarda wäre am liebsten gerannt, doch sie zwang sich langsam zu gehen, ohne Hast. Nichts ist verdächtiger als jemand, der rennt. Sie rechnete jeden Moment mit einem scharfen »Hey, you!«, das sie zurückrief, doch nichts geschah, und dann war sie auch schon außer Sicht des Haupttores. Sie wählte einen schmalen Fußpfad durch das grüne Dickicht. Jetzt konnte sie sich endlich beeilen, ihre Füße flogen fast über den Boden. Vielleicht war es eine blöde Idee, das mit der Hütte. Vielleicht wäre es besser, Nuan würde sich auf dem Dach des Haupthauses verstecken. Wenn er sich flach hinlegte, war er dort oben nicht zu sehen. Nein, nein, das heimlich zu machen würde kaum gehen, dort werkelte Gulap in der Küche, sie würde das Scharren auf dem Dach hören. Und Oma Gai, die im Gemüsegarten ein eisernes Regiment führte, könnte etwas merken. Oder hätte sie Nuan die Sache einfach überlassen sollen? Er kannte sicher Verstecke im Dschungel.
Zu spät. Er hatte sich in ihre Hände begeben. Als sie an der Hütte ankam, war Nuan bereits am Treffpunkt, seine dunkle Haut verschmolz mit den Schatten.
Als sie die Tür der Hütte öffnete, ihm winkte hereinzukommen, zögerte er zum ersten Mal, blickte sie fragend an.
»Dort werden sie dich nicht suchen«, sagte Ricarda, wollte noch Bitte vertrau mir hinzufügen und sah, dassdas nicht nötig war. Er ging hinein, und einen Moment lang waren sie allein in dem dämmrigen Raum, in dem sich der weiße Schleier des Moskitonetzes ausbreitete. Waren sie allein in der atemlosen Stille.
Dann wandte Ricarda sich um, kramte in ihrem Koffer nach einem Buch, fand eins und ging wieder hinaus, ließ die Tür absichtlich ein Stück offen. Wenige Atemzüge später hatte sie auf der Veranda das Bild einer ahnungslosen Touristin inszeniert. Gemütlich saß sie mit hochgelegten Beinen auf einem Gartenstuhl und schien höchst interessiert in ihrem Reiseführer zu lesen. Ein buntes Handtuch hing zum Trocknen über dem Geländer.
Aus dem Inneren der Hütte drang kein Geräusch.
Da kamen sie schon. Es waren vier, in grauen Uniformen, und sie waren bewaffnet.
»Good morning«, sagte einer von ihnen, obwohl die Sonne längst hoch am Himmel stand.
»Hello«, erwiderte Ricarda freundlich und hob die Hand zum Gruß.
Der Anführer hatte ein strenges, eckiges Gesicht. Das Lächeln wirkte darauf ein wenig fehl am Platz. »You visit elephants, yes?«
»Yes, I like elephants very much.« Ricarda zwang sich ebenfalls zu einem Lächeln.
»Where do you come from? How long are you here?«
Nervös strich sich Ricarda eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Germany. I am here for two weeks, then I will fly home again.«
Es fiel ihr schwer, sich auf den Polizisten zu konzentrierten. Während er mit ihr plauderte, durchstöberten seine Leute die Umgebung, umkreisten die Hütte wie Bluthunde auf der Spur.
»How do you like Thailand?«
Die gleiche Frage
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