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Der Elefanten-Tempel

Der Elefanten-Tempel

Titel: Der Elefanten-Tempel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ueberreuter
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hatte Ricarda schon oft beantworten müssen, es war klassischer Small Talk. Doch jetzt war ihr Kopf leer wie eine frisch gewischte Tafel. »Äh … I … it’s really beautiful, yes«, stammelte sie und hoffte, dass der Mann nicht misstrauisch wurde, sich nicht fragte, warum sie so nervös war.
    Doch anscheinend schöpfte er keinen Verdacht, er nickte beifällig und verabschiedete sich mit seinen Leuten. Ein paar Minuten lang konnte Ricarda noch ihre Stimmen in der Nähe hören und das Knacken von Ästen, als sie durch den Wald gingen. Ricarda starrte weiter in ihren Reiseführer – vielleicht kamen die Männer ja noch einmal wieder. Was Nuan wohl getan hatte? Sollte sie ihn fragen? Würde er ihr antworten? Sie hatte den Verdacht, dass sie es so oder so bald erfahren würde. Denn die Polizisten hatten Kaeo bestimmt gesagt, wen sie suchten und warum.
    Schließlich hörte sie leise Schritte in der Hütte, und auf einmal stand Nuan neben ihr, lehnte sich an die Wand der Hütte und blickte hinaus auf den Dschungel und über die strohgedeckten Dächer der Elefanten-Unterstände, die aus dem Grün hervorlugten.
    »Es tut mir leid«, sagte er. »Ich wollte das nicht. Das alles.«
    »Ich weiß«, sagte Ricarda und legte den Reiseführer weg. Sie wusste, dass er damit nicht ihre Hilfe meinte, sondern die Sache, in die er hineingeraten war. »Hattest du Angst – eben?«, rutschte es ihr heraus.
    Einen Moment schwieg er und blickte über den Dschungel hinaus. »Ja. Aber noch mehr vorhin, bei Khanom. Ich hatte Angst, dass du wegrennen oder schreien würdest. Dann hätte er dich erwischt.«
    »Ja, ich glaube auch«, meinte Ricarda verlegen. »Ich hatte eine Menge Glück.« Er hat Angst um mich gehabt. Ein kleiner Wirbel der Freude in ihrem Inneren. Aber es gefiel ihr auch, dass er seine Angst eingestehen konnte. Manche Jungen schafften das nie, besonders einem Mädchen gegenüber.
    Als Nuan weitersprach, klang seine Stimme gepresst. »Als ich zwölf war, habe ich mal miterlebt, wie ein Mahout von seinem eigenen Elefanten getötet wurde. Ich konnte drei Tage lang nichts essen. Erst nach einer Woche bin ich wieder zur Schule gegangen.«
    Ricarda war entsetzt. »Und du bist trotzdem Mahout geworden …«
    »Ja. Aber seither weiß ich, dass Elefanten keine Kuscheltiere sind. Es hat auch eine Weile gedauert, bis ich wieder ohne Scheu war bei Devi. Aber sie hat es verstanden. Sie war geduldig mit mir.«
    »Habt ihr rausgekriegt, warum das mit dem Mahout passiert ist?«
    »Wahrscheinlich ein Kampf um die Rangordnung. Als Mahout musst du der Chef sein und bleiben. Abergenau wissen wir es nicht. Manche Dinge kann man leider nie richtig erklären.« Er zögerte und auf einmal war seine Stimme ganz leise. »Wieso hast du das getan? Mich versteckt?«
    Nun war Ricarda verlegen. Weil ich dich mag. Weil ich dich sehr mag. Weil ich mich in dich verliebt habe. Sollte sie es ihm sagen? Jetzt? Sie fühlte sich plötzlich schutzlos wie eine Schnecke, der das Haus abhandengekommen ist. Nein, nein, nein, es war zu früh, wahrscheinlich würde er es mit einem verlegenen Lächeln abtun. Denn wer sagte, dass sie für ihn mehr war als irgendeine bleiche Touristin? Wahrscheinlich fand er sie einfach nur nett. Klar, er war an ihrer Seite gewesen, als Khanom sie angegriffen hatte, aber das hätte er sicher für jeden getan.
    Ricarda senkte den Kopf. »Na ja, ich helfe der Polizei nicht besonders gerne«, sagte sie leise und hörte, wie falsch es klang, wie feige.
    Und sie konnte spüren, wie Nuan sich innerlich zurückzog, wie fern er von einem Moment auf den anderen wieder war. Er nickte nur kurz und eine Weile herrschte Schweigen zwischen ihnen. Dann sagte er: »Ich gehe jetzt Devi suchen. Sie wird unruhig sein.«
    Dann war er verschwunden und Ricarda atmete tief durch. Was war, wenn er jetzt floh, wenn sie ihn gerade zum letzten Mal gesehen hatte? Und sie hatte diesen kostbaren Moment eben verschwendet.
    Sie holte ihr Notizbuch, fast wie von selbst bewegte sich ihr Stift über die Seiten.

    Nuan hatte Angst, dass Ricarda etwas geschehen könnte. Er musste sie in Sicherheit bringen. Wieder kleidete er sich in seine Bettlerkluft und schlich unerkannt aus dem Palast, um Ricarda zu holen. Diesmal zu Fuß, denn mit der Elefantin zusammen hätte er zu viel Aufsehen erregt. Nur einige treue Männer seiner Leibgarde nahm er mit. Er traf Ricarda in seinem Dorf, wo sie gerade am Brunnen Wasser schöpfte. Fragend sah sie ihn an, als er sie begrüßte.
    »Ich

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