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Der elektrische Kuss - Roman

Titel: Der elektrische Kuss - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Betz
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nichts anderes mehr übrig, als sich nachher so tief in die lauwarme ölige Brühe zu legen, dass sie ihm nicht nur in die Achselhöhlen, sondern auch in die Nasenlöcher lief. Geispitzheim suchte unter dem Hut des Pächters dessen Augen oder tat jedenfalls so, als ob er Hochstettler fest in die Augen schaute.
    »Und ich, ich schenke meiner Tochter das Reitpferd, das sie bekäme, wenn sie den Mannheimer Weinhändler heiraten würde, auf den ich, nebenbei bemerkt, pfeife.«
    Noch im Sprechen drehte sich Geispitzheim um und schlurfte zur Haustür. Alles war gesagt. Rollo rappelte in der Westentasche unruhig mit den Pfoten und fiepte. Das Tier, das war Geispitzheim schon öfter aufgefallen, hatte immer das richtige Gespür dafür, wann es Zeit war, sich vor den Kamin zu setzen, damit man sich nicht den Tod holte. Unwillkürlich wollte Charlotte ihrem Vater nachgehen und ihm danken. Nicht so sehr für das Pferd, dafür natürlich auch.
    Da setzte sich plötzlich der Bärtige, der die ganze Zeit wie angenagelt dagestanden hatte, in Bewegung, machte drei abgemessene Schritte, nicht zu kurze, nicht zu lange, und streckte die Hand mit dem Zügel unnatürlich steif von seinem Körper weg. Das Vogelnest an seinem Kinn zitterte kaum merklich.
    »Hier, nehmen Sie.«
    Charlottes jähe Freude über die wunderbare Wendung ihres Schicksals in den letzten Minuten bekam Frostbeulen. Wortlos nahm sie die Zügel. Im Gegensatz zu ihrem bisherigen Besitzer blickte die braune Stute sie gutmütig an. Hochstettler ging grußlos davon.
    Die Kälte ließ in den nächsten Tagen merklich nach. Es regnete viel, und die Bäche und Flüsse schwollen an. An südlichen Hängen und Wiesen krochen winzige weiße Krokusse zu Tausenden aus dem winterwelken Gras. Vögel klebten ihre Nester ins brüchige Mauerwerk und pickten dafür Moos von den Dachziegeln. Geispitzheim verbrachte seine Zeit fast ausschließlich mit Rollo, machte sich Sorgen, weil er häufiger als gewöhnlich niesen musste, konnte aber einen weiteren Anfall von Melancholie abwehren. Amalia schickte aus Kirchheim Bargeld, damit dem Pächter das Pferd bezahlt werden konnte.
    Charlotte hatte als Kind reiten gelernt, war aber ungeübt. Der alte Damensattel ihrer Mutter fand sich in einer Remise, spröde und ungepflegt natürlich, aber brauchbar. Als sie lange genug im Hof auf- und abgesessen hatte und ihre Stute im Kreis ohne Mühe zum Traben und Galoppieren brachte und die Sonne besonders mild schien, beschloss sie, dass es Zeit für ihren ersten Ausritt war. Sie ließ es über Josef ihrem Vater ausrichten. Geispitzheim zog tatsächlich seinen giftgrünen seidenen Morgenmantel aus, der so muffelte, dass die Hunde begeistert ihre Schnauzen an ihn drückten, und schlüpfte in seidene Hosen, Weste und Rock. Er wusch sich sogar das Gesicht und stülpte eine eilig von Josef frisierte Perücke auf. Dann setzte er sich den Dreispitz auf und steckte Rollo in seine Rocktasche. Er ging entschlossen wie selten nach draußen, lehnte sich an eine warme Mauer, hielt die rechte Hand schützend vor die Augen und verfolgte durch die gespreizten Finger, wie seine Tochter mit geradem Rücken durchs Tor verschwand. Ihm gefiel, dass das Pferd jetzt Madeira hieß.
    »Eigentlich nur ein Nom de guerre, ein Deckname«, hatte Charlotte spitzbübisch erklärt, »Liberty wäre dann doch zu theatralisch gewesen, meinen Sie nicht auch, Papachen!«
    Dem Weinhändler hatte man gemeinsam eine höflich formulierte Absage geschrieben. Von vielem und nichts und großem Bedauern war darin die Rede. In einem Nebensatz auch von der fragilen Gesundheit des Freifräuleins von Geispitzheim, welche einen fleischlichen Vollzug der Ehe nicht ermögliche.
    Meistens ritt Charlotte nur eine Stunde lang querfeldein. Dann setzte sie ab, ließ Madeira neben sich gehen und genoss es, warme, schnuppernde Nüstern in den Rücken gedrückt zu bekommen. Sie zog über Feldwege, schaute auf das neue Gras, das aus dem Boden schoss. Die Melodie des Hufschlags im Ohr half ihr, in Ruhe zu denken. Wenn sich die Elektrizität des Himmels nicht nur nach Gesetzmäßigkeiten, die noch zu erforschen waren, als Blitz entlud, sondern auch anzapfen ließ, dann stellte sich die Frage, ob man damit letztlich etwas anfangen konnte? Denn angenommen, es handelte sich tatsächlich um dieselbe Art von Elektrizität, dann besaß das eingefangene Fluidum wahrscheinlich auch vergleichbare Eigenschaften wie der Blitz. Schließlich hatte sie mit ihren eigenen Augen die

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