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Der elektrische Kuss - Roman

Titel: Der elektrische Kuss - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Betz
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seine Stube schrumpfen ließ. Ungeschlacht wischte sie Teller vom Tisch, jammerte und klagte, während sie die Scherben aufkehrte und mit ihrem Rücken gegen eine Kommode stieß, sodass die Schubladen rumpelten. Auf ihrem mächtigen Oberkörper standen immer Schweiß- und Milchflecken. Ein Anblick, vor dem er floh, wann immer es möglich war. Deswegen oder weil ihn erneut ein Samenflaum in der Kehle plagte, musste Samuel gleich wieder heftig husten. Auch die wenig christlichen Gedanken über die Cousine Anna, so mutmaßte er, mussten Gott erzürnt haben.
    Tatsache aber war, dass Jacob ihre Milch ebenso wenig vertrug wie die Milch der gottlosen, aber zweifelsohne herzensguten Lisbeth aus dem Geispitzheimer Haushalt und davor die der Rachel Gingerich. Immer wieder erbrach sich der Kleine, schrie und schrie und fiel dann erschöpft in einen ungesunden, apathischen Schlaf. Dieser Schlaf dauerte von Tag zu Tag länger. Noch sperrte er seinen kleinen Mund gierig auf, wenn ihn die neue Amme an die Brust legte. Aber das Saugen fiel seinem kleinen Sohn von Mal zu Mal schwerer. Sarah beobachtete es genau und berichtete es ihm mit wachsender Sorge. Außerdem hatte er oft genug selbst miterlebt, wie es war, wenn ein Kalb aus unerfindlichen Gründen geringer wurde und schließlich einging. Sein Kleiner verlor zusehends die Kraft, die er mit ins Leben gebracht hatte. Er würde, da machte sich Samuel nichts vor, bald verhungern und verdursten, obwohl ihm reichlich Milch zufloss.
    Samuel starrte auf den violetten Schimmer, in dem Gott sich ihm bemerkbar machte. Seine Hände ballten sich, ohne dass er es merkte, zu Fäusten. Also gut. Sie würden miteinander sprechen.
    Samuel atmete noch einmal tief ein und aus. War das etwa nichts gewesen, zählte es so wenig wie Luft, dass er die Flüchtlinge aus Frankreich in seiner Scheune aufgenommen und den ganzen Winter beherbergt hatte? Samuel sah Johanna vor sich, wie sie mit schon gerundetem Bauch nachts wieder einmal aus dem Schlaf hochgeschreckt war, vor lauter Angst, kurfürstliche Amtsleute kämen und würden sie allesamt ins Gefängnis stecken. Er hatte immer dagegengehalten und sie beschwichtigt. Nein, hör mir zu und weine nicht gleich, wir schicken sie nicht weg bei dieser Kälte, ja doch, es ist unsere Christenpflicht.
    Ein hellbraun gescheckter Wachtelkönig kam aus dem Nichts und lief hochbeinig durch die schimmernde Talsohle. Den einzigen Menschen weit und breit in seinen ebenfalls braunen Kleidern forsch beäugend. Aufgrund der graublau gefärbten Wangen und Halsseiten vermutete Samuel, dass es ein Männchen war. Der Vogel und vor allem dessen anmaßendes Auftreten ließen ihn vergessen, was er gerade Gott sagen wollte. Nicht als Entschuldigung, warum er haderte und sich sein Herz schmerzhaft zusammenzog, wenn Jacob winzig und mit eingefallenen Augen in seinen Armen lag, aber immerhin doch als Erklärung. Der Allmächtige war ja offensichtlich bereit dazu. Anders konnte das von Minute zu Minute intensiver werdende Violett auf den Gräsern ja wohl nicht verstanden werden.
    Samuel erinnerte sich nur ungenau an das letzte Mal, als er einen Wachtelkönig gesehen hatte. Diese Vögel lebten im Allgemeinen ausgesprochen scheu und verborgen. Warum, fragte sich Samuel, rennt dieses Tier gerade jetzt und hier herum?
    »Rerrp-rerrp-rerrp-rerrp…«
    Die Stimme des Vogels knarrte unverschämt unsinnig. So unsinnig nutzlos, wie wenn ein Mensch seinen Daumennagel über die groben Zähne eines Kammes strich und alle anderen um sich herum mit diesem Geräusch quälte, anstatt in dieser Zeit Besen zu binden oder undichte Dachsparren auszubessern. Oder schimpfte Gott so?
    Samuel erschrak. Hatte der Allmächtige den Wachtelkönig ausgeschickt? Um ihm eine Extralektion in Sachen Demut zu erteilen? Eine Vermutung, die, je mehr er darüber nachdachte, an Wahrscheinlichkeit gewann. Noch lauter schnarrend als zuvor rannte der braune Vogel aus der Senke die Anhöhe hoch und schlüpfte in ein Büschel Pfeifengras. Mit ihm verschwand von einer auf die andere Sekunde vor Samuels Augen die Erscheinung und löste sich wieder in ganz gewöhnliches stumpfes Wiesengrün auf, über dem die Sonne tief stand.
    Als Samuel an seinem Tor ankam, war er schon nicht mehr überzeugt, dass Gott sich ihm tatsächlich gezeigt hatte. Vor allem als aus dem Haus die quengelnde Stimme der Amme drang, die sich über irgendetwas schrecklich aufzuregen schien. Mose hätte nach seiner Begegnung mit dem brennenden Dornbusch so ein

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