Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der elektrische Kuss - Roman

Titel: Der elektrische Kuss - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Betz
Vom Netzwerk:
Weib sicher aus seiner Umgebung verbannt, dachte sich Samuel. Unschlüssig kraulte er Bärli, der aus seiner Hütte auf ihn zusprang, hinter den Ohren und trat schließlich, wenn auch missmutig, ein. Mit jedem Schritt auf die Küche zu schmerzte ihn die Stimme der Frommen vom Heckenaschbacherhof mehr in den Ohren. Zu gern hätte er sich in den Stall verdrückt, aber da war noch Sarahs Stimme, ebenfalls aufgeregt, und noch eine andere. Leiser, dunkel, bestimmend. Welche Prüfung legte ihm Gott schon wieder auf!
    Dieses Haar! Zum zweiten Mal an diesem Tag erschrak Samuel Hochstettler. Nach allen Richtungen blähten sich die Haare, lang, verworren, unheilvoll wie braune Nattern, und versperrten ihm die Sicht. In seinem Haus! In seiner Küche! Abscheu und Zorn, auch noch der auf den Wachtelkönig, überrollten und schluckten die Trauer und den Kummer und wälzten sich in einem Strom aus ihm heraus.
    »Raus hier, raus, sofort!«, brüllte Samuel und schüttelte die Fäuste, die er vor einer Stunde schon einmal heimlich geballt hatte, gegen das Haar, von dem er natürlich vom ersten Wimpernschlag an wusste, wem es gehörte.
    Charlotte drehte sich um und musterte den Neuankömmling einen Moment, der so lang war, dass Samuel spürte, wie sein Zorn ihn zittern ließ, bevor sie so langsam, als ob er ein unwissendes Kind wäre, auf ihn einsprach:
    »Jacob hat die gesamte verdünnte Ziegenmilch aus der Flasche getrunken und behält sie schon über zwei Stunden bei sich.«
    Eine gewisse Selbstgefälligkeit in ihrer Stimme war unüberhörbar. Aber Samuel dachte im ersten Moment nur über ihre Zeitangabe nach. Zwei Stunden. So lange war sie schon unter seinem Dach. Also schon zu der Zeit, als Gott mit ihm geredet hatte. Charlotte lächelte und streichelte mit einer ungeschickten Geste den Säugling, der dick eingewickelt und mit geschlossenen Augen in Sarahs Armen lag, die Wange. Sein leise grunzendes Schnarchen klang zufrieden und bildete einen seltsamen Gegensatz zu der Anspannung der Erwachsenen. Sarah legte ihre Hand auf den Arm ihres Vaters und versuchte, seinen Blick zu erhaschen. Was unmöglich war, denn die dritte Amme fuchtelte mit den Armen.
    »Die da hat deinen Sohn gepackt«, geiferte sie und bohrte ihren Zeigefinger fast in Charlottes Nase, »und ihm eine Flasche in den Mund gedrückt, als nächstes schleppt sie ihn zum Taufbecken und holt einen ihrer Götzenpriester. Samuel, du musst sofort…«
    Anna Gabler vom Heckenaschbacherhof breitete sich unerfreulich wie die Wüste Gobi vor ihm aus. Aber Samuel ignorierte sie ebenso wie die flehenden Blicke Sarahs. Was suchte die Tochter seines Pachtherrn, sündhaft von Kopf bis Fuß, in seiner Stube? Was wollte Gott von ihm? Samuel setzte alles auf eine Karte. Geispitzheim konnte alle Verträge kündigen, er würde dann Haus und Hof verlieren. Trotzdem.
    »Bitte gehen Sie, gehen Sie! Sofort.«
    Samuel hörte, dass seine Stimme erschöpft und hohl klang, seine ausgestreckte Hand gehorchte ihm nicht so, wie er wollte, und wies in Richtung Wand. Wenn nur die Amme ihren Mund halten würde. Aber auch dieser erneuten Prüfung entging er nicht.
    »Ich hab es dir doch schon ein paar Mal gesagt, Samuel, wenn sich dein Sohn erst mal an meine Milch gewöhnt hat, dann wird er gleich zunehmen. Mein Zweitältester hat in den ersten Wochen auch viel gespuckt. Diese Person da aber…«
    Jacob wachte auf. Seine Punktaugen schauten aus Sarahs Armbeuge heraus, er schnüffelte und schmatzte etwas, verengte die Augen aber gleich zu Schlitzen, die sich komisch schräg mit dem Kinn auf die kleine Nase hin zusammen zogen, so dass derjenige, um den sich die ganze Aufregung drehte, nur noch aus einem erstaunlich großen korallenroten, weit offenen Mund bestand, aus dem es so eindringlich hell schrie, dass die dritte Amme augenblicklich verstummte.
    Alle drei Erwachsenen starrten den Kleinen hilflos an. Bis schließlich Sarah sagte:
    »Er schreit irgendwie kräftiger als vorher.«
    »Wie ich schon gesagt habe, er hat die Ziegenmilch ganz offensichtlich vertragen. Es ist mit der Flasche und dem Schwamm obendrauf auch ganz einfach, sie ihm einzuflößen.«
    Samuel ging weder auf die Worte seiner Tochter noch die der Tochter seines Pachtherrn ein, sondern starrte weiter auf seinen schreienden Sohn. Als Charlotte jedoch ein stumpf glänzendes Gefäß in seine Richtung hielt, drehte er abrupt den Kopf weg und hätte sich am liebsten auch seinen Hut vors Gesicht gehalten. Stattdessen nahm er Sarah den

Weitere Kostenlose Bücher