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Der elektrische Kuss - Roman

Titel: Der elektrische Kuss - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Betz
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vom Weierhof gehörte. Es wäre eine Katastrophe, wenn die Halme versengt würden. Samuels Gedanken blieben bei den Krehbühls, speziell bei Adam, der, wie er gehört hatte, so wunderbar predigte, dass alle, die ihm zuhörten, noch lange danach ergriffen und stumm auf ihren Bänken saßen, wenn ihnen nicht sogar die Tränen übers Gesicht strömten.
    Als Kinder hatten Adam und er gemeinsam in der Pfrimm Krebse und Muscheln gefangen und ihre Eltern sich noch freundlich gegrüßt, weil sie letztlich doch Brüder und Schwestern im wahren täuferischen Glauben und ihre Vorväter zusammen aus der Schweiz gekommen waren. Vorsicht, wenn nicht gar Argwohn überschattete diese Begegnungen trotzdem. Denn den Hochstettlers entging nicht, dass die Mitglieder der Familie Krehbühl immer häufiger außen an ihren Jacken aufgenähte Taschen trugen und mit der Zeit sogar Knöpfe. Offensichtlich hielten sie sich nicht so weit von der Welt fern, wie es sich gehörte. Sodass seine Mutter immer öfter den einen Spruch wiederholte:
    »Die mit den Haken und Ösen wird der Herr erlösen, die mit den Knöpfen und Taschen wird der Teufel erhaschen.«
    Also begann man, die Krehbühls zu meiden wie den Rest der Welt auch. Kürzlich hatte er außerdem gehört, dass sich Adam keinen Bart mehr stehen ließ.
    Auf einmal merkte Samuel, dass es schneite. Tausende winzig kleiner schwarzbrauner Samen, flaumig behaart mit der Wolle, wie man sie nur bei höchstens vier Wochen alten Lämmern findet, schwebten durch die Luft. Samuel konnte nicht ausmachen, welcher Baum oder Busch sie ausgeschickt hatte. Egal. Ein Windhauch genügte, und sie taumelten wieder nach oben oder trieben zur Seite, um dann irgendwann doch zur Erde zu sinken. Einige Samen verfingen sich in Samuels Wimpern, Nasenlöchern, Ohren und viele in seinem Bart. Sie bestäubten seinen Hut, schichteten sich leise auf, bis er von oben nicht mehr schwarz, sondern weiß war. Die allermeisten aber suchten unendlich geruhsam und voller Gewissheit ihr Ziel und fanden es auch. Sie würden sich in den Zwischenräumen der Krumen festhalten und dem Regen standhalten, sich in den Boden bohren und Wurzeln schlagen. Samuel wusste, dass das Gottes Wille war.
    Zwei oder drei dieser winzigen Flugkörper kitzelten seine Lippen, er wischte sie aber nicht weg. Das wäre in diesem Moment nicht passend, vielleicht sogar ungehörig gewesen. Die Begegnung mit Ihm, so mir nichts dir nichts fünfzehn Tage nach dem Tod Johannas, hatte er nicht erwartet. Allerdings überraschte sie ihn auch nicht. Dem Allmächtigen war zweifelsohne nicht unbemerkt geblieben, dass sich in Samuels Herz täglich mehr Ungehorsam einschlich und an ihm nagte. Den Tod seiner Frau hatte er noch voller Demut, wie es sich für einen Christen gehörte, hingenommen. Frauen starben schließlich oft bei Geburten, das ließ sich nicht vermeiden, und es war ihr seit der Vertreibung aus dem Garten Eden auferlegtes Schicksal.
    Die Schatten wanderten ein wenig weiter, der violette Schimmer in der Senke kühlte sich eine Spur ab. Ein besonders vorwitziger Samen wehte in Samuels Mund und wurde verschluckt. Der Groll, gegen den er sich zuerst nicht wehren konnte und dann nicht mehr wehren wollte, rüttelte in ihm wie der Wind an einem losen Fensterladen. Gott ignorierte offensichtlich, dass der neugeborene Sohn, den er ihm nach so vielen Jahren endlich geschenkt hatte, über kurz oder lang auch sterben würde. Oder war das Gottes Absicht?
    Heiße Wellen der Bestürzung liefen in seinem Kopf zusammen, ihm war plötzlich flau und schwindlig. Der Schimmer im Tal bewegte sich vor seinen Augen auf und ab. In seinem Rachen klebte der versehentlich verschluckte Samen und erzwang einen Husten, der Samuel schüttelte, sodass die restlichen Tausend Samen in ihrem ruhigen Taumeln aufgehalten wurden und in alle Richtungen wirbelten.
    Seit zwei Tagen war die dritte Hebamme in seinem Haus. Sie wiegte sich schwer und umständlich in den Hüften wie eine Matrone, obwohl sie erst Anfang dreißig war. Ihren Jüngsten hatte sie Hals über Kopf entwöhnt und dann gleich die beschwerliche Reise vom Heckenaschbacherhof, wo sie mit ihrer Familie und der ihres Bruders lebte, auf sich genommen, um Hochstettler, dessen Mutter eine Cousine ihrer Mutter gewesen war, in seiner Not zu helfen. Sie war fromm und gut, wie eine Schwester nur fromm und gut sein konnte. Trotzdem überkam Samuel immer, wenn Anna um ihn herum wirtschaftete, das unangenehme Gefühl, dass sie seine Küche und

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