Der Elfenhuegel
du tragen?«
»Ich weiß nicht«, antwortete sein Bruder, seine Stimme hörte sich ungewöhnlich irritiert an. »Ich hatte gerade diesen Traum, als du mich aufgeweckt hast.«
»Du hast nicht geschlafen«, entgegnete sein Bruder.
»Hab’ ich doch«, beharrte Patrick. »In dem Traum… sah ich diesen Kerl in einer netten Ritterrüstung. Du weißt schon, Pfeil und Schwerter und ein Pferd. Vielleicht gehe ich als Ritter.«
»Ein Traum?« fragte Sean.
»Ja, ein gruseliger. Aber die Ritterrüstung war nett. Sie trugen diese Geweihe, weißt du, wie Hirsche sie auf dem Kopf haben. Und der Kerl ritt ein nettes Pferd. Und er glänzte.«
Sean antwortete nicht. Er hatte wach gelegen, während sein Bruder im Traum vor sich hin döste. Aber in seiner Vorstellung hatte Sean den fremden Ritter gesehen. Er hatte in stiller Dunkelheit beobachtet wie die Gestalt deutlich in Erscheinung trat. Es war furchterregend.
Die Zwillinge verfielen in tiefes Schweigen. Bald befand sich Sean in einem halbtraumartigen Zustand, von dem rhythmischen Atem des einschlafenden Patrick besänftigt. Aber jedesmal wenn der Schlaf sich Sean näherte, ließ ihn irgendein Wechsel im Wind, ein ungewöhnliches Geräusch – vielleicht das Knarren des Hauses – wieder ganz plötzlich auffahren. Dieser Zustand hielt lange Zeit an. Eine Zeitlang war er ruhig und versuchte zu schlafen, aber das einzige, was ihm gelang, war ein unruhiges Halbdösen. Der pfeifende Wind draußen kündigte ihm an, das etwas herankam, sich von Minute zu Minute näherte. Sean warf sich ununterbrochen hin und her, er konnte sich nicht ausruhen, denn mit jeder Minute wurde das Gefühl stärker. Etwas kam tatsächlich.
Seans Augen klappten auf, und sein kleines Herz raste, als er die Ankunft von etwas Schrecklichem spürte. Dann ließ ihn ein Atemzug der Angst starr hochfahren, als er von einem plötzlichen, überwältigenden Angstgefühl gepackt wurde. Es kam! Es war hier!
Es war dieselbe schreckliche Angst wie in jener Nacht, in der das Böse Ding in ihrem Zimmer war. Sean lag wie ein Eisklotz in seinem Bett, hatte Angst, sich umzuschauen, war kaum in der Lage zu atmen.
Aus der Ecke kam ein ungewöhnliches Geräusch, eine Bewegung, ein leichtes Scharren von Masse, die sich an der Wand entlangschob, aber es war ebenso ein Widerhall mit einem Oberton aus Musik, fremd und ganz schrecklich. Dann erreichte der Duft von Blumen und Gewürzen Sean. Mit einem scharfen Atemzug zog er sich die Bettdecke bis über das Gesicht, so daß er gerade noch über den Rand spähen konnte.
Jemand stand in der Ecke.
In der Dunkelheit bewegte er sich zwar nicht, aber seine Umrisse konnte man schwach erkennen. Dann bewegte er sich sacht. Der Hauch eines silberblauen Schimmers, wie die Leuchtkraft einer warmen Meeresströmung bei Nacht, flimmerte durch seinen Körper, als würde die Bewegung Energien freisetzen.
Kurz darauf verschwand das Leuchten, und die Gestalt verlor sich in Schatten, bewegungslos, ruhig und unbeobachtet, aber real.
Sean spürte, daß es da war. Kalter Terror umklammerte die Brust des Jungen. Er rang um Luft, wollte schreien, aber dazu war er nicht imstande. Er konnte sich nicht bewegen. Die Zeit blieb stehen, und in dem grenzenlosen Raum zwischen zwei Momenten lag Sean gefangen, bewegungsunfähig, starr vor Schreck, weil er wußte, daß am anderen Ende des Zimmers etwas wartete. Es stand nur drei Schritte weit weg.
Seans Zähne fingen an zu klappern, und seine Hände zitterten, als er die Decke unter seinem Kinn umklammerte. Dann, mit einem Geräusch, das kaum mehr war als ein erstickter Seufzer, bewegte sich das Ding in der Ecke.
Sean war nicht in der Lage, Details auszumachen; er konnte nur das helle Blau sehen, das kurz durch den Körper des Dings schimmerte, als wenn blasser Phosphor auf eine schwarze Schaufensterpuppe gemalt wurde. Die Silhouette war die eines großen, dünnen Mannes, der seinen Körper mit der Fertigkeit eines Tänzers bewegte, seine Muskeln so weich wie unbewegliches Wasser. Die Details seiner Erscheinung, die Farbe von Haar, Augen und der Haut, die Gesichtszüge, das alles wurde vom schwarzen oder blauen Glühen verdeckt. All das war auch völlig unwichtig für Sean. Er wußte nur, daß der Mann hinter den Jungen her war.
Und er wußte noch etwas: Dieser blauglimmernde, dunkle Mann stellte etwas Böses dar, das über das Böse Ding hinausging.
Der dunkle Mann bewegte sich und blieb in der Mitte des Zimmers stehen, man konnte sein Gesicht
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