Der Elfenhuegel
war, zurückzog. Dann hörte er das Geräusch von Pfoten auf dem Holz, als etwas an dem alten Bettpfosten hochkletterte. Sean hielt die Luft an.
Zwei krallenähnliche Schatten, dunkel und schrecklich in ihrer Unförmigkeit, erschienen jenseits am Ende des Hochbettes, als ob sie blindlings nach etwas greifen wollten, Sekunden später gefolgt von einer mißgestalteten Maske aus Terror und Haß, eine schwarze, hüpfende Visage mit unmöglichen Augen und einer schwarz schillernden Iris, die von einem Gelb umgeben war, das in der Dunkelheit zu leuchten schien. Sean fing an zu schreien.
Plötzlich wachte Patrick auf und schimpfte, und einen Augenblick später stand Gloria in der Tür und knipste das Licht an.
Phil kam einen Moment später, und sie hörten Gabbies Stimme durch die Tür ihres Zimmers. »Was ist da los?«
Gloria griff nach oben und umarmte Sean. »Was ist los, Liebling?«
»Etwas…« fing Sean an. Unfähig fortzufahren, zeigte er darauf. Phil machte viel Aufhebens darum, den Raum zu untersuchen, während Gloria den verschreckten Jungen beruhigte. Gabbie steckte ihren Kopf durch die Tür und sagte: »Was ist hier los?« Sie trug das übergroße T-Shirt mit dem Aufdruck der Los-Angeles-Universität von Kalifornien, das sie als Nachthemd benutzte.
Mit einer Mischung aus Verachtung und Erleichterung sagte Patrick:
»Sean hatte einen Alptraum.«
Der Ton seines Bruders veranlaßte Sean zu reagieren. »Es war kein Traum! Da war etwas im Zimmer!«
»Nun gut«, sagte Phil, »was immer es war, es ist verschwunden.«
»Liebling, es war nur ein böser Traum.«
»War es nicht«, sagte Sean, fast schon weinend, weil man ihm nicht glaubte; allerdings hoffte er auch, daß die anderen recht hätten.
»Du legst dich jetzt wieder hin, und ich bleibe hier, bis du eingeschlafen bist. Okay?«
Sean schien sich nicht sicher zu sein, sagte aber: »Gut.« Er legte sich zurück und begann die Tatsache, daß er geträumt habe, zu akzeptieren.
Mit seiner Mutter direkt neben sich und in dem Licht schien das schwarze Gesicht eine Erscheinung des Alptraumes gewesen zu sein und nichts real Existierendes.
Patrick machte viel Aufhebens darum, solche Fürsorge nicht zu benötigen.
Gabbie brummte, bis sie in ihrem Zimmer war, und Phil knipste das Licht aus. Gloria blieb dort und stand ruhig neben Seans Bett, bis er eingeschlafen war.
Vor dem Schlafzimmerfenster der Jungen rutschte etwas Dunkles und Fremdes die Abflußrinne herunter und schwang sich auf den nächsten Ast. Beim Abstieg hüpfte und wirbelte es von Ast zu Ast und sprang die letzten Meter zum Boden. Es bewegte sich mit einem unnatürlich schnellen, rollenden Gang, ein abgehackter, affenähnlicher Umriß. Neben dem Aussichtsturm hielt es an und blickte mit diesen schillernden dunklen Augen über die Schulter zum Fenster der Jungen zurück. Wegen einer anderen Bewegung im Wald duckte es sich, in Angst davor, entdeckt zu werden. Große, funkelnde Lichter blitzten für einen Moment auf, schossen zwischen den Baumstämmen hindurch und verschwanden. Die dunkle Kreatur zögerte und wartete, bis die Lichter verschwunden waren, dann rannte sie in Richtung Wald weg, wobei sie flüsternde Töne von sich gab.
6
Langsam, aber stetig wurde das Haus zu einem Heim, bald waren die ungewöhnlichen Ecken ausgekundschaftet, und die altertümlichen Gerüche wurden zur Gewohnheit. Der seltsame kleine Speicherraum unter der Treppe, neben der Kellertür, der ungewöhnliche Schuppen im hinteren Teil, die Art und Weise, wie die Rohre oben ratterten – all diese Eigenarten des Hauses wurden den neuen Bewohnern allmählich vertraut. Gloria betrachtete ihre Familie: Gabbie war zwar nicht glücklich, hatte aber mit dem ständigen Grübeln aufgehört, und die Zwillinge lebten in ihrer geheimen Welt, anscheinend zufrieden, wo immer sich ihre Familie auch aufhielt. Gloria hatte sich vorher vor allem über die Reaktion der Zwillinge auf den Umzug Gedanken gemacht, aber die beiden hatten sich rasch an die neue Umgebung gewöhnt. Erstaunlich war Phils Haltung: Er schrieb jeden Tag und schien ganz hingerissen von seiner Arbeit zu sein. Er weigerte sich, Gloria irgend etwas von seiner Arbeit zu zeigen, weil er, wie er betonte, abergläubisch sei. Sie wußte, daß das ziemlicher Unsinn war, denn früher hatten sie nächtelang seine Romanideen durchgesprochen.
Sie wußte, daß er einfach Angst davor hatte, ihr könnte nicht gefallen, was er schrieb, und daß dann das Luftschloß zerplatzen würde.
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