Der endlose Tod
der Männer, die dort saßen. Ich ignorierte die Kommentare, schob sie vor mir her in den Raum und schloss die Tür.
»Was ist geschehen, Mr. Barrett?«, verlangte sie zu wissen, verblüfft, wenn nicht sogar verärgert durch mein schroffes Verhalten.
»Das müssen Sie mir erklären, Madam.« Ich setzte die Kerze auf einem schweren Eichentisch ab und legte Olivers Brief daneben. »Lesen Sie«, befahl ich ihr, indem ich darauf deutete.
»Dies ist lächerlich«, protestierte sie. »Was, um alles in der Welt –?«
»Lesen Sie, verdammt noch einmal!«
Sie wurde bleich vor echtem Ärger, aber in ihren Augen war plötzlich ein Schwanken zu erkennen.
Zweifel, dachte ich. Ganz eindeutig Zweifel.
Jedoch stellte sie Ärger zur Schau, in jeder Bewegung und Geste, als sie auf einem der Stühle saß und die Seiten heftig umblätterte. Es dauerte lange, da sie nicht an die Handschrift gewöhnt war, aber ich wusste, wie die Dinge standen, als ich wahrnahm, wie sie bleicher und bleicher wurde, bis sie eine Totenblässe angenommen hatte. Dann gab es eine merkwürdige Umkehrung dieses Vorganges, bei dem ihre Farbe zurückkehrte, bis sie erhitzt und rot aussah, mit zwei purpurroten Flecken hoch oben auf ihren Wangen.
Oliver hatte das Thema kurz und bündig abgehandelt: »Ich hatte noch nie von einem Herzog von Norbury gehört, aber ich dachte, wenn Kusine Elizabeth es in Betracht zieht, einen Adligen in die Familie aufzunehmen, könne es nicht schaden, mein Wissen zu erweitern, und so fing ich an, herumzufragen. Die Neuigkeiten dazu sind nicht gut, fürchte ich, denn es hat sich herausgestellt, dass es keinen solchen Herzog gibt und auch niemals gegeben hat. Der oder das einzige Norbury, mit dem ich aufwarten kann, ist ein völlig belangloser, winziger Weiler im Süden Londons, der nicht einmal eine Kirche besitzt, und noch viel weniger einen Herzog. Es existiert tatsächlich ein Dorf namens Norwood, und ich habe erfahren, dass es dort ein recht anständiges Gasthaus gibt, aber auch hier wieder: kein Herzog weit und breit. Ich würde diesen Kerl und seine Schwester sehr genau unter die Lupe nehmen, da sie ganz sicher Halunken sind.«
Sie schüttelte ihren Kopf und nahm einen wundervoll verwirrten Ausdruck an. »Wirklich, Mr. Barrett, da gab es einen furchtbaren Fehler – entweder das, oder Ihr Vetter spielt uns allen einen schlimmen Streich. Meine Familie entstammt einer alten und edlen Familie, wir hatten sogar gemeinsame Vorfahren, die mit Heinrich bei Agincourt waren.«
»Es wäre mir auch vollkommen egal, wenn sie mit Richard am Bosworth Field waren, Sie werden mir dies erklären!«
»Aber ich sage Ihnen, dass es nichts zu erklären gibt; es ist Ihr Vetter, der ...« Sie sah meinen Blick und schlug eine andere Richtung ein. »Dies ist lächerlich. Wir haben seit Monaten mit Ihrer Familie zusammengelebt. Sie kennen uns gut. Wie könnten wir etwas sein außer dem, was wir sind?«
Und für einen Augenblick erlebte ich den Hauch eines Zweifels. Oliver war schließlich oft ein recht alberner Bursche. Er hätte die Dinge vielleicht durcheinander bringen können ...
»Dies ist ein Fehler«, sagte sie fest. »Das muss Ihnen klar sein.«
Nein. Er konnte manchmal ein Esel sein, aber er war kein Dummkopf. Anders als ich. Anders als wir alle.
Ich richtete meinen Blick hart auf sie. »Sie werden mir zuhören ...«
Sie zischte, als habe sie sich verbrannt, und zuckte zusammen. Nach dieser anfänglichen Reaktion war sie stumm wie ein Fisch, mit einem Gesichtsausdruck, welcher weit offen und ausdruckslos war. Seelenlos.
Und ganz bestimmt herzlos. Lieber Gott, wie...
Ich kehrte mich von ihr ab und lief einige Male auf und ab, um mich zu beruhigen. Ich fühlte mich krank und ärgerlich und beschämt, wobei tausend andere, ähnliche, grässliche Gefühle meinen Verstand bevölkerten, meinen Geist einschüchterten, mich mit ihrem stürmischen Brausen erfüllten und es auf diese Weise unmöglich machten, klar zu denken oder irgendetwas anderes zu tun. Es wäre nicht gut, sie zu befragen, während ich so aufgewühlt war; dies könnte sie töten ... oder etwas noch Schlimmeres könnte passieren.
Lieber Gott, es schmerzte.
Und dieses Gefühl hielt viele lange und stille Momente so an, bis es sich schließlich so weit beruhigte, dass ich es kontrollieren konnte. Erst da wagte ich es, sie anzusehen und meine erste Frage zu formulieren.
»Wer sind Sie?«
»Caroline Norwood.«
»Woher kommen Sie?«
»London.«
»Ist Ihr ältester
Weitere Kostenlose Bücher