Der Engel Der Kurie
Arm. Serena holte ihre Wolljacke und eilte mit Cesare die Treppen hinunter.
Als sie auf der Gasse standen, zog Cesare sie sofort weiter Richtung Kapitol und berichtete mit wenigen Worten von Enneas Ausbruch aus dem Gefängnis.
Serena erschrak und ärgerte sich, daß sie Luigis erster Eingebung, den Corte Savella zu beobachten, nach ihrem Abenteuer in der Zelle mit Frangipane und dem Mörder nicht weiter gefolgt waren. Zugleich mit diesem Ärger erwachte in ihr wieder der Jagdtrieb, den Täter zur Strecke zu bringen, und als ihr Cesare von Luigis Idee, Ennea zu suchen, erzählte, stimmte sie dem Vorhaben begeistert zu.
Unterhalb von Aracoeli bogen sie in das Trümmerfeld des Forum Romanum ein und huschten hinter dem Titusbogen in ein Gebüsch, das von außen sehr unzugänglich aussah, in seiner Mitte aber eine kleine Freifläche aufwies. Luigi und die anderen warteten schon, und gemeinsam begannen sie ihren Plan zu entwickeln. Cesare und Serena sollten durch die Stadt streifen und sich vor allem in den Vierteln, in denen sich besonders viele Ruinen als Versteck anboten, nach Ennea umsehen; dabei sollten sie sich keinesfalls trennen, denn da der Kaplan Serena von ihrem Aufenthalt in der Zelle kannte, wäre sie allein in höchster Gefahr. Die anderen würden versuchen, bei der Bürgermiliz an der Porta Maggiore die Hilfe ihrer Freunde zu erlangen; vielleicht ließ sich ja einer der Capitani erweichen, sich mit einigen Milizionären an der Suche zu beteiligen.
Dann würden sie der Reihe nach die Tore der Aurelianischen Mauer abgehen und die Wächter befragen; mit Fortunas Hilfe könnten sie möglicherweise erfahren, in welche Richtung sich der Flüchtige davongemacht hatte.
Im Lager an der Porta Maggiore hatte sich inzwischen die erste Aufregung nach der Aushebung der Milizionäre gelegt, doch für die Straßenjungen war ein strenger Tagesablauf eingeführt, der ihnen neben dem Drill durch die Capitani kaum Freiheiten ließ. Daher gelang es Luigi, Filippo und Massimiliano nicht, an die Freunde vom Pozzo bianco heranzukommen.
Nachdem sie einige Zeit um das Lager gestrichen waren, gaben sie es auf; zu groß war die Gefahr, daß sie selbst von einem übereifrigen Capitano aufgegriffen und rekrutiert würden. Enttäuscht machten sie sich allein auf den Weg entlang der Stadtmauer von Tor zu Tor, doch das Glück war tatsächlich auf ihrer Seite: Ein Wächter an der Porta del Popolo konnte sich an Ennea erinnern.
»Ja, da schlich einer mit wirren Haaren hinaus. Als ich ihn rief, drehte er sich um und sah mich mit einem irren Blick an, wie ich es überhaupt noch nie bei einem Mann gesehen habe. Es war früh am Morgen, kalt und ungemütlich; ich wollte meine Ruhe haben und keinen Ärger mit so einem Wirrkopf. Also habe ich ihn ziehen lassen.«
»In welche Richtung ist er denn gegangen?« fragte Luigi.
»Er ist die Cassia hinausgerannt, als wäre der Teufel hinter ihm her.«
Sie dankten dem Wächter, schlenderten hinüber zu Santa Maria del Popolo, setzten sich auf die Treppenstufen und berieten, was nun zu tun sei.
Serena und Cesare waren auf ihrer Suche nach Ennea an die uralte Colonna-Festung gelangt, von der es hieß, sie sei einst das Grabmal des Kaisers Augustus gewesen.
Der Hügel mit seinem halbverfallenen Mauerwerk wurde von einem Händler aus der Via del Popolo als Weinkeller benutzt, und lediglich die dicken Mauern erinnerten dort, wo man in das Gewölbe hineingehen konnte, an die Verwendung als Colonna-Burg vor beinahe dreihundert Jahren. Ein Teil der Anlage war mit wilden Sträuchern überwuchert, und an zwei Stellen gab es geheime Schlupflöcher. Hier kannte sich Cesare aus, hier waren sie mitten in seinem Viertel. Doch Ennea trafen sie nicht an, und so führte Cesare Serena einige Meter weiter zum Tiberufer und zeigte ihr einen halbverfallenen Tempel.
»Das ist die Ara Pacis Augustae«, erklärte er, »die erbaut wurde, um an den Frieden unter dem großen Kaiser zu erinnern. Es muß ein ordentlicher Auflauf von Volk und Würdenträgern gewesen sein, als Raffael vor fast zwanzig Jahren diesen Tempel entdeckte und von seinen Arbeitern ausgraben ließ. Schau nur, wie schön die Bilder an der Wand sind.«
Er nahm Serena bei der Hand und zeigte ihr die Friese, die an den schmalen Seiten aufregende Szenen aus alter Zeit darstellten und an den Längsseiten die kaiserliche Familie des Augustus zeigten. Der Marmor blendete, so weiß war er in der Mittagssonne, und die Figuren wirkten so lebensecht, daß Serena
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