Der Engel Der Kurie
sehen war. Anscheinend war das Schreiben für Napoleone Orsini bestimmt.
»Wo habt ihr den Brief her?« fragte Jakob mit ungutem Gefühl.
»Wir waren Ennea auf den Fersen«, antwortete Cesare, der als erster wieder zu Atem gekommen war, »und haben neben der Via Cassia in einem verfallenen Kloster einen ermordeten Boten gefunden, der diesen Brief bei sich trug. Wir glauben, daß Ennea der Mörder war, aber wir wissen es nicht. Meinst du, daß die Nachricht für uns von Bedeutung sein könnte?«
»Der Komtur von Farfa«, murmelte Jakob und war immer noch überrascht, »erhält päpstliche Post, und Ennea ermordet den Boten. Eigenartig.«
Er wog den Brief in den Händen und empfand eine unerklärliche Scheu davor, ihn zu öffnen. Andererseits bot sich ihm hier die Gelegenheit, geheime Kenntnisse über die Familie Orsini zu erlangen. Kurz entschlossen erbrach er das Siegel.
Werter Napoleone,
Du streitbarer Sohn des Giovanni Jordano, wisse, daß Deine Zeit bald gekommen ist; nichtig wird dann der Zwist zwischen Dir und Madonna Felice, denn nicht nach Ererbten muß dein Sinn trachten, sondern nach Selbstverdientem. Erringe die schöne Tochter des Vespasiano und öffne die Burg Vicovaro den Kaiserlichen. Bereite alles vor, denn die Stunde der Befreiung vom Joch des unwürdigen Papstes naht. Ziehe um Dich dreißig Reiter und halte Dich bereit, in spätestens einer Woche zum Vatikan zu jagen und dem Heiligen Vater vorzugaukeln, Du würdest ihn retten; hast Du ihn erst in Deiner Gewalt, verbringe ihn nach Vicovaro, auf daß der Vizekönig mit ihm verhandeln kann. Gib Deine Befehle rasch, die Zeit drängt.
Fabricio.
Jakob verschlug es für einen Moment den Atem. Hier hatte er den Beweis für eine Verschwörung in Händen und zugleich die Bestätigung dafür, daß er mit seinen Vermutungen richtig lag. Sorgsam faltete er den Brief und steckte ihn in seine tiefste Tasche. Wie verworren die Wege des Schicksals sind, dachte er; Frangipane hatte alles unternommen, um die Orsini zu den Verbündeten der Colonna zu machen, und nun bediente sich die Fügung eben des Werkzeuges, das Frangipane zunächst zum Erfolg verholfen hatte; Ennea hatte, ohne es zu wissen, Frangipane einen Bärendienst erwiesen und dessen Boten getötet.
Jetzt hieß es zu überlegen, wie er den Anschlag auf den Papst vereiteln konnte, ohne sich und die Kinder in allzu große Gefahr zu bringen.
»Laßt uns zum Campo de Fiori hinuntergehen«, schlug Jakob vor, denn im Trubel des gemeinen Volkes würden sie ungestörter sprechen können als hier im Borgo.
Überall entlang der Via Giulia flammten die Fackeln auf, und es herrschte eine heftige Betriebsamkeit. Viele Reiter und Kutschen bevölkerten die Straße und verschafften sich rücksichtslos ihren Weg. In mehreren Palazzi fanden an diesem 3. Februar des Jahres 1527 Karnevalsfeste statt, und nach dem Sieg der schwarzen Banden des Papstes gegen die Kaiserlichen bei Frosinone wollte Roms Adel feiern.
Er könnte, überlegte Jakob, Ambrogio Farnese den Brief aushändigen; das wäre der Beweis, den die Farnese von ihm erwarteten, und er müßte keine falsche Aussage machen; die Farnese wären am Ziel ihrer Wünsche. Aber er mißtraute Ambrogio nach wie vor, und gerade die Selbstsicherheit, mit der ihm Ottavio am Morgen einen Meineid zugemutet hatte, ließ es ihm geraten scheinen, zunächst keinen der Farnese ins Vertrauen zu ziehen. Da auch Monsignore Trippa als Ratgeber ausschied, hatte Jakob nur noch einen, an den er sich wenden konnte: seinen Ordensgeneral, der jedoch ebenfalls mit Ottavio Farnese zusammenarbeitete.
Kann ich, fragte sich Jakob, noch einige Tage abwarten, ehe ich die Oberen warne? Napoleone Orsini befand sich offenbar auf seiner Burg in Bracciano und wartete auf Casales Nachricht; solange er diese nicht erhielt, würde er sich ruhig verhalten; allerdings dürften Casale nach einigen Tagen Bedenken kommen, und dann würde er nochmals einen Boten schicken, um das Geschehen in Gang zu setzen. Vielleicht ließe es sich einrichten, daß dieser Bote von päpstlichen Wachen abgefangen und Casale so unmittelbar der Verschwörung überführt werden konnte. Aber wie? Und was wollte er mit so einem zeitlichen Aufschub bewirken? Ich muß Antonias Mörder finden, beantwortete sich Jakob diesen Einwand selbst, und ich brauche den Giftmischer, der Frangipane ans Leben wollte; ich will Klarheit haben, ehe ich den Trumpf, den mir das Schicksal mit diesem Brief zugespielt hat, aus der Hand gebe.
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