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Der Engel mit den Eisaugen

Der Engel mit den Eisaugen

Titel: Der Engel mit den Eisaugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Douglas & Spezi Preston , Mario Spezi
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und es sei den Verschwörern am Ende gelungen, ihrer Ersatzleiche wieder habhaft zu werden, sie verschwinden zu lassen und stattdessen Narducci zu begraben.
    Im Herbst 2007 kam Mignini zu dem Schluss, dass er bald einen Richter ersuchen müsse, das Hauptverfahren für alle 21  Verdächtigen einzuleiten.
    Die Atmosphäre war geprägt von todbringenden, vom Himmel gesandten Prophezeiungen, die durch das Internet und die Presse zu Sensationen aufgebläht wurden, sie war geprägt von der angeblichen beunruhigenden Präsenz einflussreicher Mitglieder geheimer, uralter satanischer Sekten, von Ermittlungen, die auch vor Polizeidirektoren, den Carabinieri und sogar vor einem Oberstaatsanwalt nicht haltmachten – und von der Kritik der Florentiner Staatsanwaltschaft an dem Vorgehen des Kollegen aus Perugia. Und in dieser mysteriösen, düsteren Atmosphäre nun wurde in der Nacht zwischen dem 1 . und dem 2 . November, der Nacht zwischen Allerheiligen und dem Tag der Toten, das Fenster eines am Stadtrand gelegenen Hauses mit einem großen Stein eingeworfen.
    Ein Unbekannter stieg in das Haus ein und schnitt Meredith Kercher, der einzigen jungen Frau, die er vorfand, die Kehle durch. Vermutlich ein Sexualverbrechen, auch wenn nie mit Sicherheit festgestellt werden konnte, dass Meredith Kercher vergewaltigt worden war.
    Der Mörder ließ sie halbnackt auf dem Boden liegen und warf eine Daunendecke über sie, wie es vor allem Zufallstäter tun, die ihr Opfer kennen. Er verließ das Haus durch den Eingang und ließ die Tür offen. Um nicht gesehen zu werden, nahm er eine kleine Straße auf der Rückseite des Hauses, wo es nur Felder gab. Er hatte die beiden Handys der Studentin an sich genommen und warf sie in einer etliche hundert Meter entfernten Parkanlage weg. Dann verschmolz er mit der schwarzen Nacht und verschwand.
    Es war nur selbstverständlich, dass tags darauf eine der jungen Frauen, die sich das Haus mit Mez teilten, als Erste befragt wurde. Es handelte sich um die Amerikanerin Amanda Knox, die natürlich wirkende, junge Frau mit dem blassen Gesicht, das bald ganz Italien vertraut war. Die Nachrichtensendungen brachten es an jenem Tag in allen Ausgaben. In der Sequenz, die von einer Straße oberhalb des Hauses aufgenommen worden war, sah man Polizeibeamte in weißen Schutzanzügen im Haus aus und ein gehen. Eine Frau von robuster Statur, vermutlich eine Polizistin, auch wenn sie keine Uniform trug, stieß mit dem Fuß gegen die Tür, die sich direkt unterhalb des Tatorts befand, um sich Zutritt zu verschaffen. Der stellvertretende Staatsanwalt Mignini ging nachdenklich hin und her. Er hatte eine Pfeife im Mund und trug eine grüne, gesteppte Jacke aus Nylon, die berühmte Husky-Jacke mit den Steppstich-Nähten und dem Kragen aus Feincord, das sportliche Kleidungsstück, das die Engländer zum Reiten oder zum Lachsfang tragen, während die Italiener damit zur Arbeit gehen.
    Ein wenig abseits sah man einen jungen Mann und eine junge Frau: Amanda und ihren italienischen Freund Raffaele Sollecito, auch er ein Student aus Perugia. Mit unbewegtem Gesicht betrachteten sie die Szene und strahlten eine zu Herzen gehende Zärtlichkeit aus. Sie hatten sich vor gerade mal neun Tagen kennengelernt.
    Er, mit einem gelben Schal um den Hals, umarmte sie, strich ihr über die Schulter und gab ihr ab und an ein Küsschen, um ihr Mut zu machen. Sie, noch sehr jung, schien ihren Blick nicht von dem Zimmer abwenden zu können, in dem Mez noch immer lag, hingestreckt in ihrem eigenen Blut.

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    Kapitel 3
    P erugia, 16 . Januar 2009 . »Amanda, immer wieder Amanda und nur Amanda. Unbestritten ist sie es, die Studentin aus Seattle, die wie ein Magnet das Interesse der Medien auf sich zieht. Und wie jeder Star, der etwas auf sich hält, ist es natürlich auch sie, die als Letzte in die Aula degli Affreschi kommt und vor das Geschworenengericht tritt, das im Mordfall Meredith Kercher über sie und Raffaele Sollecito urteilen soll. Als Knox hereinkommt, senkt sich fast vollständige Stille über das Gewühl der Journalisten ( 81  Korrespondenten aus allen Teilen der Welt sind zugegen). Sie versäumt es nicht, ihnen einen ihrer magnetischen Blicke zuzuwerfen. Jeans, weiße Sportschuhe, ein gestreiftes T-Shirt und eine graue, kuschelige Jacke, auf die ihr offenes Haar herabfällt – Amanda, ›das Engelsgesicht‹, schreitet langsam voran, zieht die Blicke aller Anwesenden auf sich, es entladen sich die Blitze der Fotografen, die

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