Der Engel mit den Eisaugen
musste und einiger Kraftaufwand nötig war, um Meredith zu überwältigen, die zerrissene Unterwäsche, der Bluterguss um den Mund, die Brutalität, mit der ihr die Kehle durchgeschnitten wurde – alles das weist darauf hin, dass der Angreifer oder die Angreifer männlich gewesen sein mussten.
Warum also Amanda?
Eine Frage, auf die man im
Handbook of Forensic Services
des FBI nur schwerlich eine Antwort fände. Stattdessen müsste man wohl eher im
Malleus Maleficarum
nachlesen.
Die Beweise der Spurensicherung und besonders die Laborergebnisse der Dottoressa Stefanoni – die allesamt in dem Gutachten, welches das Berufungsgericht angefordert hatte, widerlegt wurden – bildeten die Grundlage für die Anklagen der Staatsanwaltschaft. Hinzu kamen Ergebnisse der Auswertung von Raffaeles Computer. Nach Angaben der beiden jungen Leute hatten sie zu Hause bei Raffaele erst den Film
Die fabelhafte Welt der Amélie
auf dem PC angeschaut und dann noch etwas Musik gehört – und zwar um dieselbe Zeit, als Meredith vermutlich ermordet wurde.
Dann waren da noch die Zeugen: »Totò« Curatolo, Obdachloser und wichtigster Belastungszeuge, wurde von Frank Sfarzo entlarvt. Die Übrigen dürften ungefähr genauso glaubwürdig gewesen sein.
Wie erwähnt, war der Abdruck des Nike-Schuhs auf Merediths Blut »wissenschaftlicher« Beweis Nummer eins – der sich als nicht haltbar erwies. Blieben noch die von Dottoressa Stefanoni entdeckten DNA -Spuren auf dem BH -Verschluss des Opfers – jenes Beweisstück also, das man erst 46 Tage nach dem Verbrechen sichergestellt hatte. Auf dem Griff eines Küchenmessers, das man in Raffaeles Haus beschlagnahmt hatte, fanden sich schwache DNA -Spuren von Amanda und an der Spitze der Klinge Spuren von Meredith.
Nicht, dass Amanda ein Küchenmesser von Raffaele in der Hand gehabt hatte, erregte Verdacht – schließlich ging sie bei ihm ein und aus –, sondern vielmehr die Tatsache, dass sich auf dessen Klinge ein DNA -Rest der ermordeten jungen Frau befunden hatte. Da die Engländerin nie in der Wohnung des Studenten aus Apulien gewesen war, wurde dies als schwerwiegendes Indiz interpretiert. Für die Anklage handelte es sich um einen fundamentalen Beweis.
Dottoressa Stefanoni fügte hinzu, da nirgendwo Blut zu finden gewesen sei – nicht einmal in mikroskopisch kleinen Partikeln –, müsse das Messer gründlich mit Spülmittel gereinigt worden sein.
Die Ermittler präsentierten einen weiteren Zeugen, wieder jemanden, den die beflissenen Reporter des
Giornale dell’Umbria
fast ein Jahr nach dem Verbrechen ausfindig gemacht hatten und der nun beweisen sollte, dass Amanda am Morgen nach dem Verbrechen in einen Gemischtwarenladen gegangen sei, um Bleichmittel zu kaufen.
Schließlich folgerte man aus den genetischen Spuren auf dem Messergriff, dass es Amanda gewesen sein musste, die Meredith die Kehle durchgeschnitten hatte.
Das große Problem war allerdings, dass in dem Zimmer, in dem Meredith ermordet wurde, keine DNA -Spuren von Amanda oder Raffaele gefunden werden konnten, sondern nur die von Rudy. Und ganz offensichtlich war es unmöglich zu behaupten, den beiden jungen Leuten sei es gelungen, ihre eigenen Spuren zu beseitigen und die von Rudy an Ort und Stelle zu belassen, denn genetisches Material ist unsichtbar.
Das Argument, das Mignini nun ins Feld führte und das seiner Ansicht nach alle Ungereimtheiten beseitigte, wirkte höchst verblüffend auf den Journalisten Bob Graham von der britischen
Sun,
der den Staatsanwalt interviewte. »Theoretisch«, erklärte Mignini, »hätte Amanda das Verbrechen von einem anderen Zimmer aus dirigieren können.«
Vier Jahre nach dem Verbrechen – das Interview fand zum Zeitpunkt des Berufungsverfahrens statt – dementierte der Staatsanwalt also seinen eigenen Strafantrag.
Doch dies war nicht die einzige Äußerung Migninis, die den Journalisten schockierte: Auf Grahams Frage, wie es zu erklären sei, dass die Spurensicherung keine Spuren von Amanda und Raffaele in dem Zimmer gefunden hatte, gab der Staatsanwalt seelenruhig zu, dass es aus Zeitgründen nicht möglich gewesen sei, alles zu analysieren.
Und damit nicht genug: Graham sah sich sowohl den Film an, den die Spurensicherung bei ihrer ersten Tatortbegehung aufgenommen hatte, als auch die Dokumente mit den Ergebnissen der Gutachten. Dabei fand er heraus, dass auf dem Kissen, das zur Hälfte unter der Taille der toten Meredith gelegen hatte, Spermaflecke entdeckt worden
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