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Der Engel mit den Eisaugen

Der Engel mit den Eisaugen

Titel: Der Engel mit den Eisaugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Douglas & Spezi Preston , Mario Spezi
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Richter sind im Jahr 1930 stehen geblieben. Die Polizeikräfte betrachten alle Beschuldigten als Verbrecher, die Bürger werden wie Fußabtreter behandelt, und oft arten Verhöre in Gewalt aus. Der Staatsanwalt spielt Kommissar, statt sicherzustellen, dass die Rechte des Beschuldigten gewahrt werden. Und der Ermittlungsrichter glaubt, die Handlungen des Staatsanwalts unterstützen zu müssen.«
    Und Mori war noch nicht fertig. Er fügte hinzu: »Die Gutachter liefern dem Staatsanwalt die bestellten Antworten und Belege, um seine vorgefassten Theorien zu bestätigen. Die Staatsanwälte tolerieren keine kritischen Gutachter, sie wollen, dass sich diese blind zur Verfügung stellen, um die Anklage zu stützen. Und da die Gutachter wissen, dass sie die Staatsanwälte zufriedenstellen müssen, um Arbeit zu haben, passen sie sich an.«
    Jeder in Italien, der schon einmal durch das engmaschige Netz des Gefängnis- und Justizapparats musste, teilt diese Meinung. Ebenso die Gerichtsreporter, die sich nach langen Jahren eine gehörige Portion Zynismus angeeignet haben.
    Ich war selbstverständlich derselben Meinung, gehörte ich doch beiden Kategorien an.
    An jenem 3 . Oktober ging Amanda und Raffaele vermutlich das Gleiche durch den Kopf. Doch aus Angst vor Repressalien hätten sie sich gehütet, dies in aller Öffentlichkeit kundzutun.
    Früh am Morgen, noch bevor wir uns im Garten der Andersons versammelten, wurden Amanda und Raffaele in zwei gepanzerte Streifenwagen verfrachtet und zu dem mittelalterlichen Palazzo im Zentrum der Piazza Matteotti gefahren, wo sich das Berufungsgericht befindet – dem Palazzo mit den marmornen Löwen über dem Eingang und der sitzenden Justitia-Statue davor, die ein langes Schwert in der einen Hand hält. Amanda aus ihrem Gefängnis in Perugia, Raffaele aus dem in Terni, nicht allzu weit davon entfernt. Abgeschirmt von Kameraobjektiven ließ man sie das Gebäude durch einen Nebeneingang betreten. Keiner der beiden trug Handschellen. Von der Gefängnispolizei eskortiert, führte man sie zwei Stockwerke nach unten ins Parterre und sperrte jeden von ihnen in eine kahle Zelle. Die Wände waren aus Backstein, die Gitter so breit wie eine ganze Wand.
    An jenem Morgen würden sie ihre letzten Aussagen machen. Dann würden sich die Richter ins Beratungszimmer zurückziehen, um über das Leben der Angeklagten zu entscheiden. Nun also lagen alle Karten auf dem Tisch.
    Amanda und Raffaele froren in ihren Zellen.

[home]
    Kapitel 12
    A uf dem von klarer Luft erfüllten Platz vor dem Palazzo di Giustizia lastete eine spürbare Anspannung. Links von dem großen Tor parkten zwei oder drei nachtblaue Transporter der Carabinieri. Auf der rechten Seite standen in einer langen Reihe die weißen Vans der amerikanischen Fernsehsender. Auf ihren Dächern runde Parabolantennen und auf der Erde schwarze Stromkabel, die sich wie Schlangen umeinanderwanden. Neben breit geöffneten Wagentüren wurden Frisuren und Make-up der Journalistinnen letzten kritischen Prüfungen unterzogen, Reporter machten erste Sprechproben.
    Direkt vor dem gotischen Tor befand sich eine breite, quadratische Absperrung aus Metall. Zutritt verboten. Schon jetzt drängten sich Kameraleute und Fotografen mit großen Teleobjektiven um die Absperrung, und keiner war bereit, den einmal eroberten Platz preiszugeben. Schaulustige flanierten vorbei oder blieben stehen. Einige setzten sich vor eine Bar, bestellten einen Cappuccino und schlugen die Zeitung auf, deren Schlagzeilen verkündeten, was sich in Kürze nur wenige Meter vor ihren Augen abspielen würde. Andere schlenderten langsam davon. Sie wussten, der Augenblick der Wahrheit lag noch in weiter Ferne.
    Die Öffentlichkeit war nicht zugelassen in der Sala degli Affreschi. So nannte sich der Saal, in dem der Prozess stattgefunden hatte und wo nun bald das Urteil verkündet werden sollte. Er war zu klein, als dass alle darin Platz gefunden hätten. Daher hatte das Gericht verfügt, dass nur Journalisten eingelassen würden, die eine entsprechende Akkreditierung beantragt und erhalten hatten. Mehr als vierhundert waren gekommen.
    Um das Gebäude betreten zu können, musste man zwei Kontrollen der Carabinieri passieren, eine im Freien und eine direkt hinter dem Eingang. Auch hier wieder Metallabsperrungen, um zu verhindern, dass mehrere Personen gleichzeitig durch die Kontrollen schlüpften.
    Dann ging es zwei Treppen hinunter ins Erdgeschoss, wo sich der Gerichtssaal befand. Die

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