Der Engel mit den Eisaugen
Beteiligten und der forensischen Beweise. Und Gigabytes von Power-Point-Präsentationen. Die Website legte eigene Ordner für Leute an, die mit dem Fall zu tun hatten, darunter Amandas Verteidiger. Sie mussten sich vernichtende Kritik gefallen lassen, ihre Motive, ihre Integrität und Kompetenz wurden angezweifelt.
Doch die Website beschränkte sich nicht nur auf Negatives. Sie lobte die Integrität, Unbestechlichkeit und den Scharfblick von Staatsanwaltschaft, Polizei und Justiz in Italien, die Amanda verhaftet und des Mordes angeklagt hatten. Der große Held von
True Justice
war Giuliano Mignini. Eingerahmt waren die Seiten dieser Website mit Fotos von Meredith Kercher, die nach übereinstimmenden Berichten eine bemerkenswerte, kluge junge Frau gewesen war. Es gab herzzerreißende Artikel über ihr Leben, Beileidsbekundungen an ihre Familie und traurige Betrachtungen darüber, was die Welt an ihr verloren habe.
Den Ton der Website würde ich mit »maßvoll empört« beschreiben. Die vielen Artikel mit den massenhaften Details schufen eine glaubhafte Parallelrealität. Darin wurde von Amanda Knox das Bild einer Sextäterin, Drogenabhängigen und Mörderin gezeichnet, deren schönes Gesicht lediglich eine Maske war, die ihre Verdorbenheit verbarg. Sie wurde als das Produkt einer gestörten, möglicherweise inzestuösen Familie dargestellt. In dieser Parallelrealität kleideten sich ihre jüngeren Schwestern (eine zwölf Jahre alt) unpassend und sexuell aufreizend und zeigten klare Anzeichen einer psychischen Störung; kämen sie nicht in Pflegefamilien, würden sie vielleicht ebenfalls zu Mörderinnen werden. Die »Mörderin« (es wurde immer nur die weibliche Form benutzt) wurde von etlichen »Karrieristen« unterstützt – sprich von opportunistischen Anwälten, skrupellosen Journalisten (ich selbst diente als Musterbeispiel), prestigesüchtigen FBI -Agenten, korrupten Richtern, narzisstischen Kriminologen und inkompetenten Forensikern, die für Ruhm und Geld »im Blut eines ermordeten Mädchens wateten«. Auf
True Justice
wurde ausführlich dargelegt, wie Amandas Familie eine teure PR -Agentur mit zahlreichen Verbindungen engagiert hatte, der es gelang, die nationalen Medien hinters Licht zu führen, darunter auch die vier landesweiten Fernsehsender und die
New York Times.
Leute, die eine andere Meinung posteten, wurden von
True Justice
gesperrt, ihre Kommentare verschwanden umgehend von der Website.
Auf Menschen, die von den tatsächlichen Gegebenheiten des Falles nichts wussten, dürfte die Website
True Justice
durchaus informativ, gründlich, sachlich und stimmig gewirkt haben. Und es gab viele Leute da draußen, denen die Fakten unbekannt waren.
True Justice
wurde täglich viele tausend Mal aufgerufen und mit der Zeit sogar von einigen großen Nachrichtenagenturen als Quelle genutzt, vor allem von der BBC und
Newsweek/The Daily Beast.
Der Aufruhr im Internet war nicht nur Hintergrundrauschen. Migninis Büro beauftragte eigens jemanden, der die Blogs verfolgte. Es lenkte die öffentliche Meinung gegen Amanda. Es beeinflusste die Berichterstattung seriöser Journalisten. Barbie Nadeau zum Beispiel, die für
Newsweek/The Daily Beast
über den Fall berichtete, schrieb ein Buch mit dem Titel
Angel Face: The True Story of Student Killer Amanda Knox.
Zwar wurden darin weder Quellen angegeben, noch gab es eine Bibliographie oder Fußnoten, doch es scheinen Informationen verwendet worden zu sein, die von anonymen Bloggern stammen, denn sie lassen sich dadurch identifizieren, dass sie falsch sind. Das Vorwort zum Buch verfasste Tina Brown, Chefredakteurin von
Newsweek/The Daily Beast.
Darin schreibt Brown, dass »eine gnadenlose Jugendkultur aus Sex, Drogen und Alkohol« zu Amandas »Abstieg in die Welt des Bösen« geführt habe und sie sich frage, ob Amandas »hübsches Gesicht« vielleicht nur eine »Maske« sei, »die heuchlerische Fassade eines durch und durch verdorbenen Menschen«. Äußerungen wie diese zeigen, wie sehr das »Hintergrundrauschen« aus der Blogosphäre den seriösen Journalismus inzwischen beeinflusst. Ins gleiche Horn wie Tina Brown stieß Ann Coulter, eine weitere bekannte Figur in den Medien. Unter Berufung auf ähnliche Informationen schrieb sie: »Obwohl die Liberalen verzweifelt um die Zuneigung der Europäer buhlen, haben die amerikanischen Medien ganz Italien in Rage gebracht mit ihren unverhohlenen Lügen über einen abscheulichen Mord in Perugia, begangen von einem jugendlich
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