Der Engel mit den Eisaugen
frischen amerikanischen Mädchen namens Amanda Knox.«
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Kapitel 3
Z eynep Tufekci ist Soziologin mit Schwerpunkt Internet und betreibt den Blog
Technosociology.
Sie ist Fellow am Center for Information Technology Policy an der Princeton University und Assistenzprofessorin an der School of Information der Universität von North Carolina. Ihr Interesse gilt vor allem auch der Bildung sozialer Gruppen im Internet.
In groben Zügen war Tufekci der Fall Amanda Knox bekannt. Von dem Aufruhr im Internet wusste sie zwar nichts, doch er überraschte sie keineswegs. »Auf den ersten Blick wirkt es vielleicht wie ein Mob ohne jede Struktur«, meinte sie. »Verfolgt man das Ganze aber zurück, stößt man auf den Punkt, an dem die Beteiligten sich zusammengetan haben. Der Schwarm bildet eine Art Gemeinschaft.« Es sei diese Formierung einer Gemeinschaft, erklärte sie, die das Ganze so groß, so wirkungsvoll und dauerhaft mache. Es seien keine anonymen Verrückten, die mutterseelenallein mitten in der Nacht zu bloggen begännen. »Sie investieren in diese Gemeinschaft.« Ohne diese Gemeinschaft, meinte sie, würden sie ihre Aktivitäten nicht über längere Zeit fortführen können.
Aber was für Leute sind das? Während unseres Gesprächs googelte Tufekci ein wenig und stellte fest, dass die meisten der Anti-Amanda-Kommentare ziemlich primitiv und sexueller Natur waren – und zwar sowohl von männlichen wie weiblichen Kommentatoren. »Dass sich ein solcher Mob auf eine bestimmte Person einschießt, kann unterschiedliche Gründe haben«, meinte sie. »Es könnte beispielsweise eine Art Koalition weiblicher Blogger mit sexuell interessierten männlichen gegen eine Konkurrentin sein.« Vermutlich würden sie ihre Motive für den Wunsch, Amanda bestraft zu sehen, überhaupt nicht hinterfragen. »Das Internet verhilft diesen ›Bestrafern‹ plötzlich zu einer gewissen Art von Macht, sie haben keinen direkten Kontakt zu ihren Opfern. Es stellt sich eine gewisse Enthemmung ein, wenn man online ist. Der ständig wiederholte Refrain, dass das Internet einfach nur das Internet ist und nicht real, erleichtert es den Leuten, sich von ihrem Tun zu distanzieren. Die Leute fassen es als nichtrealen Raum auf, in dem man keine moralische Verantwortung trägt. Das ist natürlich Unsinn. Das Internet ist sehr real. Wir Menschen sind soziale Tiere. Natürlich hat es eine starke Wirkung in der Welt.«
Ganz offensichtlich war Dempseys Blog einer der entscheidenden Orte, an dem sich der Anti-Amanda-Mob als Erstes traf und eine Gemeinschaft zu bilden begann. Dempsey tröstete sich mit dem Gedanken, dass es sich bei den Kommentatoren vermutlich größtenteils um Engländer handelte – Menschen also, die weit weg lebten –, weil die Kommentare mitten in der Nacht gepostet und in britischer Schreibweise verfasst wurden. Dass diese Vermutung falsch war, zeigte sich, als die Familie Knox ein Spendendinner mit anschließender Auktion organisierte, um die Anwaltskosten bestreiten zu können. Die Veranstaltung fand im Januar 2009 im
Salty’s
statt, einem Restaurant in Seattle.
Als Amandas Familie diese Veranstaltung zum Spendensammeln ankündigte, verbreitete sich die Nachricht sogleich in der Anti-Amanda-Blogosphäre. Sie wurde ausgiebig kommentiert und, je näher der bewusste Tag rückte, auch zunehmend heftiger, wie man es sonst beim Endspurt vor einer wichtigen Wahl oder einem großen Sportereignis erlebt.
Das
Salty’s
erstreckt sich über zwei Stockwerke. Auf der unteren Etage fand das private Spendendinner statt, die obere mit Bar und Toiletten war allgemein zugänglich. Es erschien auch eine Gruppe Anti-Amanda-Blogger, darunter Peggy Ganong aus Seattle, die Administratorin der Website
Perugia Murder File.
Außerdem der Administrator einer weiteren Anti-Amanda-Website, Randy Jackson, mit seiner Frau Kathleen, die unter dem Pseudonym Professor Snape unermüdlich gegen Amanda polemisierte. Bei Randy Jackson gibt es eine persönliche Verbindung zu dem Fall, denn er gehörte zum Lehrkörper der University of Washington, als Amanda dort studierte.
Die Blogger setzten sich an einen Tisch bei der Tür. »Wir wollten einfach sehen, wie viele Leute zu dem Spendendinner kamen«, schrieb mir Peggy Ganong später, damit ihre Zahl in der Presse nicht übertrieben werde. Nachdem sie die Gäste gezählt hatte, habe sie das Restaurant verlassen. Als Reporter von Lokalsendern anrückten, um über das Ereignis zu berichten, wurden sie sogleich
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