Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Engel Schwieg.

Der Engel Schwieg.

Titel: Der Engel Schwieg. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
Vom Netzwerk:
Straßenzügen kam noch Qualm in großen dichten schweren Schwaden.
    Um vom Gürtel zur Rubensstraße zu kommen, brauchte er fast eine Stunde, für einen Weg, den er früher in zehn Minuten hatte gehen können. Zwischen Mauerresten ragten Ofenrohre heraus, Qualm verteilte sich schleichend, und manchmal begegnete er einem schlechtgekleideten Mann oder einer Frau, die ein Kopf- tuch flüchtig umgebunden hatte.
    In der Rubensstraße selbst schien kein Haus mehr zu stehen. Die große Badeanstalt am Eingang der Straße war zusammenge- sunken, zwischen den Trümmern war hier und da eine von den glänzenden grünen Kacheln des Schwimmbassins zu sehen. Hier, wo die großen Straßen sich früher vereint hatten, sah er auch mehr Menschen; sie alle gingen langsam, waren schmutzig und übellaunig…
    Hinter einer Kulisse leergebrannter Hausfassaden hörte er schwere Fahrzeuge brummen, die in Richtung Rhein zu fahren schienen…
    Er kletterte vorsichtig über die Trümmer in die Rubensstraße hinein. Irgendwo schrie ein Säugling hinter Fenstern, die mit schmutzigen Brettern verschalt waren, und eine Frauenstimme sprach sehr leise und klagend.
    Vom Hause Nummer 8 stand noch der Eingang, und ein paar Zimmer unten schienen heil zu sein, der Eingang war breit und tief, die Giebelmauer war eingedrückt, und die Deckenbalken ragten stumpf in den grauen Himmel. Als er eintreten wollte, kam ihm eine alte Frau entgegen mit einem grünen Kopftuch: ihr Gesicht war gelb und schlaff, strähniges schwarzes Haar hing ihr
    in die Stirn. Sie hielt eine Kohlenschaufel mit Hundedreck in der
    Hand: Sie ging ein paar Schritte bis zum nächsten Trümmerhau-
    fen, schleuderte den Dreck mit einer müden Bewegung ab und kam zurück.
    Er sagte: »Gompertz, bin ich hier richtig bei Gompertz?« Sie nickte nur.
    »Frau Gompertz«, fragte er weiter in ihr teilnahmsloses Ge-
    sicht hinein, »ist Frau Gompertz da?«
    Wieder nickte sie; für einen Augenblick fielen die dicken Lider über ihre entzündeten kleinen Augen und ihr Gesicht schien eine Sekunde lang endgültig tot zu sein…
    »Kommen Sie«, sagte sie leise.
    Er ging hinter ihr her in den Flur. Es war dunkel, und sie blieb so plötzlich vor ihm stehen, daß er ganz nah ihr schlaffes Ge- sicht sah, sie roch nach Küche, nach Spüldunst, die Pupillen
    bewegten sich mit einer erschreckenden Langsamkeit, als müß-
    ten sie irgendwo mit großer Mühe gedreht werden. Sie blickte ihn an, ihre Stimme war leise und heiser.
    »Damit Sie es wissen«, sagte sie ruhig, »sie ist krank…«
    »Ich weiß«, sagte er.
    Sie ließ plötzlich die Unterlippe hängen, wandte sich wieder ab und ging ihm voraus, und jedesmal, wenn sie sich umwandte, sah er die dicke gelbliche Unterlippe herunterhängen, die ihrem Gesicht den Ausdruck eines ekelhaften Grinsens gab.
    Sie kamen in eine sehr geräumige Diele, und er sah durch ein bläuliches Oberlicht in die leere schwarzgebrannte Hülle des Hauses hinein. Hier unten standen überall staubbedeckte Möbel, Kleider lagen lose über Kisten und Koffern und Tischen, und in einer Ecke stand ein offenes Klavier wie ein Ungeheuer mit tausend falschen Zähnen. Die Frau legte die Kohlenschaufel auf einen Tisch, sah ihn noch einmal an, horchte erst, indem sie das Ohr an ein Schlüsselloch legte, und rief dann laut: »Frau Gom- pertz?«
    Sofort antwortete eine sehr kalte Stimme: »Ja?«
    »Ein Herr möchte Sie sprechen.«
    »Einen Augenblick.«
    Sie blickte ihn wieder an. »Sie liegt immer zu Bett«, flüsterte
    sie.
    Die Stimme hinter der Tür rief jetzt: »Es ist gut«, die Alte öff- nete ihm die Tür, und er trat ein.
    Das Zimmer war groß und hoch und sah sehr sauber aus. Der Parkettboden war sogar gespänt, die gelben Bretter waren glatt
    und glänzend. Über dem großen schwarzen Bett in der Ecke sah
    er eine Marienstatue auf hölzernem Sockel mit einem kleinen rötlichen Licht davor. Sonst stand nur ein Stuhl und ein Nacht- tisch im Zimmer, und er sah, daß die schadhafte Decke mit dik- ken weißen Papierstreifen vernagelt war. An den Wänden hingen dunkle Ölgemälde, von denen er ahnte, daß sie echt waren und kostbar. Er blieb an der Tür stehen, das alles erschien ihm zu feierlich – zu still auch und zu schön…
    Die klare Stimme sagte leise: »Kommen Sie bitte und setzen Sie sich.«
    Die Frau hatte eine dunkle hochgeschlossene Jacke an und ihr Gesicht erschien blasser, je näher er kam; das Haar war sehr hell,
    fast farblos, es schien lose und dünn zu sein und erinnerte

Weitere Kostenlose Bücher