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Der Engel Schwieg.

Der Engel Schwieg.

Titel: Der Engel Schwieg. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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und dennoch von strammer Legalität gewesen wäre, weil der Dienststempel echt war; bevor er Wilke geheißen hatte, war er als Waldow durch die Gegend gefahren, davor Schnorr: er wählte die Namen, wie sie ihm ge- rade während des Schreibens einfielen, er schuf Existenzen die es nicht geben durfte und in Wirklichkeit nicht gab, die aber ein Scheinleben gewannen durch den Druck eines Stempels auf ein Papier, die Prägung eines Gummirundstücks auf ein grünge- streiftes Stück Papier verlieh ihnen Legitimität; und diese Vari- anten seiner selbst lebten in Listen und Büchern weiter, ohne je gelebt zu haben, in Übernachtungsbaracken und Markenausga- bestellen, an Suppenstationen und Bahnhofskinos. Sogar Socken und eine Pistole hatte er sich irgendwo auf einen Namen geholt, der ihm jetzt nicht mehr einfiel, eine dieser Varianten, geschaf-
    fen durch ein Instrument, das so nichtig war, daß er kaum dar-
    über hätte lachen können: ein auf Holz geleimtes Stück Gummi
    mit ein paar erhabenen Ziffern, die eine Nummer bedeuteten, umkränzend einen Hoheitsadler, der in seinen Klauen ein winzi- ges Hakenkreuz hielt: das war alles, die ganze Herrlichkeit, und ein Fetzen Papier, der diese Hochstapelei des Nichts vervoll- ständigte… Er hatte viele Namen gehabt in dieser Zeit, die erst vor drei Tagen zu Ende gewesen war und ihm unendlich weit zurückzuliegen schien; er wußte sie nicht mehr alle. Erschossen werden sollte er als Hungretz, das fiel ihm wieder ein, als er durch die Stadt schlenderte und sich seinen augenblicklichen Namen einprägte: Keller, Erich Keller – einen Namen, der sehr teuer war zweitausend Mark…
    Später kam er in Viertel, wo noch Häuser standen, bewohnte Häuser. Zwischen zwei nassen Aschehaufen, von denen gelbli- che Flüssigkeit sich auf den rissigen Asphalt verteilte, stand eine Frau mit schmutzigem blonden Haar, ein graues Gesicht mit toten Augen. »Brot«, rief sie ihm zu, »Brot.« Brot, dachte er und blieb stehen; er sah sie an. »Brot«. rief sie wieder – »Brotmar- ken.« Er fing an, in seiner Tasche nach Geld zu suchen – er fand noch sechs Mark, dreckige Scheine, die er ihr hinhielt. »Brot«, sagte er. Sie schüttelte den Kopf. »Zwanzig Mark zwei Pfund«, sagte sie. Er versuchte zu rechnen, während er sie anstarrte, aber es gelang ihm nicht. »Für fünf Mark«, sagte er, »ein halbes Pfund.« Sie zog ihre Hand aus der Manteltasche und fing an, in einem Klumpen schmutziger rötlicher Marken herumzusuchen. Er gab ihr fünf Mark und sah die Marken auf seiner Hand liegen, winzige Fetzen bedruckten Papiers. »Gibt es etwas drauf?« frag- te er leise. Sie riß ihre Augen empört auf und klapperte mit den Lidern wie eine Puppe. »Klar«, sagte sie, »es ist doch Frieden, weißt du es nicht.«
    »Frieden«, sagte er, »seit wann?«
    »Seit heute morgen«, sagte sie, »seit heute morgen ist Frie- den… der Krieg ist aus…«
    »Ich weiß«, sagte er, »aus war er schon lange, aber Frieden?«
    »Wir haben kapituliert, glaubst du es nicht?«
    »Nein…«
    Sie rief einen Amputierten, der wenige Schritte weiter auf ei-
    nem Mauerstumpf saß und eine offene Packung Zigaretten vor sich hielt. Er kam herbeigehumpelt. »Er glaubt nicht, daß Frie- den ist«, rief sie. »Wo kommst du denn her?« Er schwieg.
    »Doch, es stimmt, der Krieg ist aus, richtig aus. Wußtest du es nicht?«
    »Nein«, sagte Hans, »wo kann ich Brot kaufen auf diese Mar- ken. Sind sie gut?«
    »Ja«, sagte der Amputierte, »sie sind gut. Wir betrügen keinen
gleich die Ecke herum ist der Bäcker. Willst du Zigaretten?«
    »Nein, sie sind sicher zu teuer.«
    »Sechs Mark…«
    Er bekam wirklich Brot auf die Marken in einer Bäckerei um die Ecke, es wurde sorgfältig abgewogen, fünf Scheiben, und da die letzte, die die Frau auf die Waage warf, zu dick war, so daß der Zeiger der Waage auf zweihundertsiebzig Gramm schlug, schnitt sie eine Ecke ab und legte sie in einen besonderen Korb…
    Und er feierte den Beginn des Friedens auf einem Mülleimer sitzend, indem er vorsichtig und feierlich seine Brotscheiben aß und nachdenklich die Groschen zählte die er von der Bäckerin zurückbekommen hatte…
    Er hatte nicht gewußt, daß das Brot s o teuer war. Langsam grub er seine Hand in die Manteltasche, um das Zigarettenetui herauszuholen, und als er den zusammengeknüllten Briefum-
    schlag fand, zog er ihn heraus und las ihn noch einmal: Regina
    Unger, Märkische Straße 17…

    Die Trümmer, durch die er nun gehen mußte,

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