Der Engel Schwieg.
ihn an
die Perücken blasser Puppen. Er ging langsam näher. Sie sagte noch einmal: »Setzen Sie sich doch hier.«
Auf der Marmorplatte des Nachttischs stand ein kleines schwarzes Kruzifix, es war grob in einem Holzklotz eingelas-
sen…
Er setzte sich. Er konnte nichts sagen, er öffnete plötzlich ha- stig seinen Mantel und deutete auf die Feldbluse, die er darunter trug, auf die Feldwebellitze, die Orden auf der Brust und die Sterne auf der Schulter. Alles war noch neu, die Litze blinkte noch und die Knöpfe waren unversehrt, ohne den geringsten Kratzer.
Sie nickte nur, ihr Gesicht blieb ruhig, matt eingebettet in das helle Haar.
»Es ist gut«, sagte sie, »ich wußte es, aber wie… Sie müssen mir sagen, wie…«
Er war aufgestanden, hatte den Mantel ganz ausgezogen, den Rock abgestreift, nahm jetzt den Zettel aus der Tasche und gab
ihn ihr mit dem Rock. Auch jetzt veränderte sich ihr Gesicht
nicht, er blickte von ihr weg und sah in das große mit Tüchern
verhangene Fenster. Die Sonne war durchgekommen, sie stand über der Fensterbank, das Tuch färbte sich rot, schien sich voll- zusaugen mit Rot wie mit einer feinen Flüssigkeit, die sich un- merklich verdichtete, jede Faser des Stoffes erfüllte, und er sah jetzt, daß die Bilder an den Wänden wirklich kostbar waren: sie schienen mit Licht gemalt, sie zeigten ruhige Patriziergesichter über samtenen Kragen.
Er wandte sich langsam wieder der Frau zu und war erstaunt: sie fühlte vorsichtig die Nähte ab an den unteren Rändern des Schoßes, lächelte, nahm ein Messer aus der Nachttischschublade
und fing an, den Saum aufzutrennen.
Ihre Hände waren so ruhig wie das Gesicht, sie schnitt ein paar Stiche los, riß dann mit einem sicheren Ruck das ganze Futter los, vorsichtig fuhr ihre linke Hand in die dunkle Höhlung und brachte einen Bogen Papier zutage, der zusammengefaltet war. Sie reichte ihm das Papier und sagte leise: »Lesen Sie…«
Er faltete das Blatt auseinander und las:
O.U., den 6. Mai 1945. Ich, der Unterzeichnete Feldwebel Wil- li Gompertz, vermache mein gesamtes bewegliches und unbe- wegliches Eigentum meiner Frau Elisabeth Gompertz geb. Kreutz. Darunter stand sehr deutlich zu lesen: Willi Gompertz, Feldwebel; dann kam eine unleserliche Unterschrift, ein runder Stempel mit einer Feldpostnummer und das deutlich geschriebe- ne Wort Oberstleutnant…
Er gab ihr das Papier stumm zurück.
»Was ist«, fragte sie, »sind Sie böse?«
Er sagte nichts und blickte wieder zum Fenster hin, die glü- hende Flüssigkeit hatte sich verstärkt, schien üppiger geworden zu sein, dicker und heftiger…
»Was ist denn?« fragte sie wieder. Sie war sehr ernst und ru- hig, und er sagte in ihr Gesicht hinein: »Er hat mir meinen Tod gestohlen, ihr Mann hat mir meinen Tod gestohlen. Ich glaube, ich weiß, was los ist. Diesen schnellen und sauberen Tod, den durfte ich nicht behalten, den hat er für sich ausersehen, der mußte mir geklaut werden. Außerdem war es sogar ein Helden-
tod, ein richtiger Heldentod, und der stand mir nicht zu, ich
weiß. Ich sollte leben, ich wollte sogar leben – – und er wollte mir das Leben schenken, aber ich begreife jetzt, daß man jemand das Leben schenken kann, indem man ihm den Tod stiehlt.«
Sie hatte sich zurückgelehnt, und gegen die dunkle Tönung des Bettes sah ihr Gesicht noch bleicher aus.
Er fuhr fort: »Ich sollte erschossen werden wegen Fahnen- flucht. Sie hatten mich geschnappt. Die Amerikaner waren schon
sehr nah. Ihr Mann war Schreiber beim Feldgericht, nicht
wahr?« – Sie nickte. – »Es sollte alles sehr schnell gehen, die Amerikaner waren so nah, man hörte schon den Kampflärm der Infanterie. Ihr Mann kam abends in die Scheune zu mir, in der ich auf meine Erschießung wartete. Er kam mit seiner Taschen- lampe, leuchtete das Heu ab, er leuchtete mir ins Gesicht und sagte: ›Steh auf.‹ Ich stand auf. Ich sah sein Gesicht nicht, es war ganz im Dunkeln. Er fragte: ›Du willst nicht sterben…‹ ›Nein‹, sagte ich… ›Geh stiften‹, sagte er. ›Schön‹, sagte ich und wollte an ihm vorbeigehen. ›Moment‹, sagte er, ›zieh meinen Rock an.‹ Ich sah sein Gesicht immer noch nicht. Er legte die Lampe ins Heu, und ihr Schein traf oben die staubige Scheunendecke, und in dem zurückfallenden Schein sah ich sein Gesicht: es war gleichgültig. Er zog seinen Rock aus, nahm mir meinen ab und sagte: ›Geh.‹ Ich ging. Ich versteckte mich im Hof gegenüber, und dann hörte ich, daß
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