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Der Engel Schwieg.

Der Engel Schwieg.

Titel: Der Engel Schwieg. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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Instrumente heraus. Der Arzt saß müde auf einem Stuhl und rauchte: sie zog gierig den starken Geruch des Tabaks ein, und zum ersten Male spürte sie den Hunger in seiner seltsamen Mi- schung aus Übelkeit und Ermüdung, es stieg wie ein flaues Gäh- nen in ihr auf, und sie überhörte die Frage des Arztes.
    »Was wollen Sie?« fragte er kurz zum zweiten Mal, als sie den Mund mit Anstrengung wieder geschlossen hatte.
    Sie trat näher und gab ihm die Karte.
    »Aha«, sagte er, »verzeihen Sie. Fräulein Unger?«
    »Ja«, sagte sie.
    Er nahm die Zigarette in den Mund, ging zum Schreibtisch und suchte aus einem Holzkasten eine braune Kartothekkarte heraus.
    »Ja«, sagte er, »Unger. Ihre Blutprobe war ausgezeichnet. Die Analyse ergab nichts Negatives. Ich habe Sie für heute herbe-
    stellt, weil wir – Sie wollen also noch spenden, immer noch?«
    »Gewiß«, sagte sie.
    »Nun, es ist vierzehn Tage her« – er zuckte die Schultern und seufzte – »inzwischen hat sich manches geändert, was einen schon veranlassen könnte, zurückzutreten. Sie wollen also
    noch?«
    »Ja«, sagte sie.
    »Schön, ziehen Sie sich aus. Oberkörper.«
    Sie warf den Mantel ab, knöpfte die Bluse auf und legte beides auf den fahrbaren Operationstisch, der neben ihr stand.
    »Gut, gut«, rief der Arzt, »genügt.« Sie spürte seine kräftige Hand, die ihre Muskeln abtastete, ihren Puls kontrollierte, und
    zuckte leicht zusammen, als das kalte Stethoskop ihre Brust berührte.
    »Übrigens, Unger«, sagte der Arzt, der sie nachdenklich und
    müde anblickte, »hatten Sie nicht Ihren Mantel hier hängen lassen?«
    »Ja.«
    »Haben Sie ihn zurück?«
    »Ja.«
    »Ein ehrlicher Mensch.«
    »Ja, ein ehrlicher Mensch.«
    Er nahm die Nickelklemmen aus seinem Ohr, nickte ihr zu und sagte: »Nichts einzuwenden. Ihr Allgemeinzustand ist so, daß ich Sie zulassen kann. Sie können sich wieder anziehen, welche Gruppe war es noch?«
    »Null«, sagte sie.
    »Ausgezeichnet, ich kann Sie gleich heute morgen gebrauchen. Wollen Sie? Für Fischer«, rief er der Nonne zu, »was meinen Sie?«
    Während sie die Bluse wieder überstreifte, sah sie, daß die weiße Haube der Schwester nickte.
    Der Arzt sah sie mit seiner müden Freundlichkeit an. »Sie ha- ben Glück. Herr Fischer hat für den Blutspender seiner Tochter
    eine besondere Prämie versprochen, außer der üblichen Zutei-
    lung natürlich. Wieviel war es, Schwester?«
    »Fünfzehnhundert Mark«, rief die Schwester. Sie legte den schweren Nickeldeckel über den Instrumentenkasten und drehte sich um. »Fünfzehnhundert Mark«, sagte sie noch einmal, »Herr Fischer ist ein reicher Mann.«
    »Ein Geldfischer«, sagte der Arzt und drückte lachend seine Zigarette aus, »kein Menschenfischer.«
    Die Nonne schüttelte den Kopf, sah ihn mißbilligend an. »Sie
    bleiben am besten gleich hier, die Transfusion ist für zehn ange- setzt, nicht wahr?«
    »Ja«, sagte der Arzt, »von mir aus kann es gleich losgehen. Haben Sie gefrühstückt?«
    »Nein«, sagte Regina.
    »Können wir dem Fräulein etwas zu essen geben?«
    »Nein«, sagte die Nonne, »ausgeschlossen.« Ihre große Haube wackelte energisch hin und her.
    »Vielleicht einen kleinen Vorschuß auf die Zuteilung, was? Es wäre nicht schön, wenn ihr während der Übertragung schlecht
    würde.«
    »Es geht wirklich nicht«, sagte die Schwester, »Sie können mir glauben. Die Zuteilung wird ja in Marken gegeben, nicht einmal von uns, vom Wirtschaftsamt, das Fräulein bekommt nur eine Bescheinigung.«
    Der Arzt zuckte die Schultern. »Dann nehmen wir vielleicht besser den jungen Mann vom Zimmer a, er hat wenigstens etwas gegessen.«
    »Nein nein«, rief Regina schnell.
    Die beiden blickten sie erstaunt an. »Was ist«, fragte der Arzt.
    »Ich möchte es sehr gern machen – – ich… es wird mir nicht schlecht werden…«
    »Meinetwegen, was meinen Sie, Schwester?« Die Schwester zuckte die Schultern.
    »Also fangen wir an.«
    Als die Schwester hinausgegangen war, zündete er eine neue Zigarette an. »Ich würde Ihnen gerne eine anbieten, aber ich weiß nicht«, sagte er, »ich glaube…«
    »Nein, danke, es würde mir schlecht werden, danke.«
    Schon das Einatmen des Rauches verursachte ihr Schwindel. Der Hunger war jetzt eine Verbindung von Kopfschmerz, Übel- keit und Müdigkeit. Der Kopfschmerz war sehr plötzlich ge- kommen, ein heftiger bohrender Schmerz, dessen Ursache ihr unklar blieb.
    Immer wieder zuckte sie hoch und hielt die Hand vor den
    Mund, wenn

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