Der Engel Schwieg.
das krampfhafte Gähnen sie überfiel, dieses Gäh-
nen, das so heftig war, daß ihre Kiefer knackten. Sie beobachtete müde den Arzt, der sich in einem Porzellanbecken die Hände wusch, seine Zigarette ausknipste und den Rest oben auf den gläsernen Bord legte.
»Fischer ist wirklich ein reicher Mann«, sagte er, sich umdre- hend und die Hände trocknend, »er könnte noch eine Kleinigkeit für das Frühstück der Leute zulegen, die seiner Tochter Blut
spenden.«
»Welche Krankheit hat das Mädchen?«
»Kann ich Ihnen leider nicht sagen, ich darf nicht. Keine schö- ne Krankheit übrigens. Haben Sie schon einmal Blut gespen- det?«
»Nein.«
»Dann erschrecken Sie nicht, ich werde Ihnen ein bißchen wehtun müssen, ich muß Ihre Vene öffnen, beißen Sie auf die Zähne«, sagte er seufzend, »stecken Sie das Geld und die Zutei-
lung ein, auch wenn« – er unterbrach sich – »also keine Angst,
es sieht schlimmer aus, als es ist.«
»Das Geld«, fragte sie, »bekomme ich es hier schon?«
»Nein, Sie müssen es holen, bei diesem Fischer, diesem Geld- fischer, weil –« er schwieg plötzlich, weil die Bahre hineinge-
schoben wurde.
Es schien nur ein sehr blasses Gesicht, das da hereingefahren wurde: dunkles schönes Haar über der schneeweißen Stirn und zwei schmale helle Augen: der Körper füllte gerade die Vertie- fung der Segeltuchbespannung aus, so daß das weiße Leinen flach über den Rahmen gespannt erschien.
»Hierhin«, rief der Arzt. Er dirigierte die Nonnen neben den Operationstisch und rief Regina zu: »Kommen Sie.«
Sie stand auf. »Legen Sie sich hierhin, machen Sie den rechten Arm ganz frei.«
Sie knöpfte die Bluse am Ärmel los und streifte den dünnen Stoff hoch bis über die Schultern, wo sie ihn flüchtig zusammen-
rollte.
»Ja, ja«, rief der Arzt, »gut.«
Das Liegen tat ihr wohl, der Kopfschmerz ließ etwas nach, und
als ihr eine der Schwestern ein Kissen unter den Kopf schob, fühlte sie sich fast wohl.
»Danke, Schwester«, sagte sie.
Es fiel ihr auf, daß das Gesicht des Arztes unruhig wurde. Es zuckte um die Mundwinkel und zitterte leise in einer seltsam müden Aufregung.
»Pumpen«, rief er ihr zu, »so.« Er öffnete die Hand und schloß sie, die Finger spreizend, und sie machte es ihm nach und sah, daß er gespannt auf ihren Arm blickte.
»Schön, schön«, rief er plötzlich, »sehen Sie, Schwester, wie sie herausspringt, wie schön, da kommen wir gut rein. Nun hier…«
Er trat an die Bahre des Mädchens und sagte leise: »Pumpen, Fräulein Fischer… so.« Noch einmal führte er es vor, und Regi- na beobachtete gespannt die ernsten, fast hoffnungslosen Ge- sichter der Nonnen und des Arztes, die zusahen, wie der dünne weiße Arm sich schlapp hob und die kleine Hand heftig anfing, sich zu bewegen.
»Ruhiger«, sagte der Arzt, »viel ruhiger. So«, er machte die Spreizbewegung ruhig und gleichmäßig mit seinen starken roten Händen noch einmal und blickte auf den Arm des Mädchens. Er seufzte. »Nichts zu sehen, kein Wunder. Trotzdem, fangen wir an. Warten hat keinen Sinn. Los«, sagte er.
»Drehen Sie den Kopf nach links«, rief er Regina zu, und sie gehorchte ihm und blickte gegen eine grünlich getünchte Wand, auf der noch Pinselhaare klebten, schwarze dünne, deutlich sichtbare Streifen, die wie ein häßliches Muster aussahen, und in dieser Tünche war eine Tonmadonna aufgehängt, ein grobes armlanges Stück gebrannten Tons. Die Madonna hielt das Kind senkrecht von sich ab, so daß der übergroße tönerne Heiligen- schein ihre Brust verdeckte und nur ihr Gesicht sichtbar blieb. Regina war müde, sie spürte, daß sie bald einschlafen würde, die Augen fielen ihr fast zu, sie hielt sie mühsam auf: vor ihren Blicken schwamm das Muttergottesbild in diesem häßlichen dünnen Grün wie in Wasser…
Sie zuckte plötzlich nach rechts, als sie den Stich in ihren Arm
verspürte, und sah, daß der Arzt das Ende eines Gummi- schlauchs in ihre Vene gesteckt hatte, eine breite Nadel, die fast wie eine Schreibfeder flach und abgeschrägt war…
»Pumpen.«
Sie pumpte und spürte, daß um ihren Oberarm eine Gummi- schlinge gelegt wurde. Sie roch den sauberen unpersönlichen Geruch der Nonne, die an ihrem Kopf stehen mußte.
»Schneller abbinden, fester«, rief der Arzt, aber schon spritzte
Blut oben heraus und setzte sich dick und rot über das grobe Gewebe seines weißen Kittels.
»Verflucht«, sagte der Arzt, aber die Schlinge um ihren Arm war nun ganz
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