Der Engel Schwieg.
Schwierigkeiten, das Gotteslamm nun – eh – wieder auf die Beine zu bringen«, hatte der Domherr zu ihm gesagt,
»wir erwarten von diesem ersten publizistischen Versuch nach dem Krieg einen großen Erfolg…«
Er legte auch das Titelblatt beiseite, und es fiel ihm jetzt erst ein, daß er mit einer kleinen Kostbarkeit bedacht worden war, weil es ihm gelungen war, einige kraftlose Artikel unter dieser Vignette zu vereinen und drucken zu lassen. Aber die Ironie dieser Tatsache machte ihm keinen Spaß. Er war müde, Lange- weile und Verzweiflung schienen sich inniger noch zu ver- schmelzen, ein träger Strom Unendlichkeit, dessen Bitternis nicht ausreichte, ihn reizvoll zu machen…
Das Telephon klingelte. Er nahm den Hörer ab und meldete sich.
»Krankenhaus der Vinzentinerinnen«, sagte eine Stimme.
»Ja«, sagte er, plötzlich erregt, »was ist?«
»Gut«, sagte die unbekannte Stimme, »Ihrer Tochter geht es gut. Viel besser. Herr Dr. Weiner hat eine Transfusion gemacht, die vollkommen gelungen ist. Bis heute abend wird sich ent- schieden haben, ob die Besserung anhält.«
»Danke, Schwester«, rief er, »danke. Ich werde mir erlauben, heute abend vorzusprechen. Grüßen Sie meine Tochter bitte.«
»Schön. Sie hatten eine Prämie für die Blutspenderin ausge- setzt, darf ich sie zu Ihnen schicken?«
»Gewiß«, rief er, »gewiß, ich freue mich, ihr die kleine Aner- kennung zu überreichen. Sonst noch was?«
»Nein. Bis heute abend also.«
»Auf Wiedersehen«, sagte er und hing ein…
Die kurze Freude war schon vorüber, als er den Hörer auflegte und das leise metallische Knacken der Gabel hörte. Wieder spür- te er es, wie ein großes Gewässer, in dem er bis zum Halse ver-
borgen stand und dessen laue unendliche Oberfläche ihm bis an
den Mund reichte: Langeweile, Ekel und irgendwo ein bißchen Wollust…
Im Kriege hatte es Augenblicke gegeben, in denen das Leben fast schön gewesen war; wenigstens gefährlich und bedroht, täglich bedroht, eine Bedrohung, die um so schöner war, als sie von unfehlbaren Sicherheiten umgeben war: ein starker Bunker,
Geld, Vorräte und die Gewißheit, daß er politisch immer richtig
liegen würde, wie es auch kommen mochte – selbstverständlich war er in der Partei gewesen, hatte sogar manche Konferenz mit den Nazis gehabt – auf ihre Art schienen sie übrigens ›Kerle‹ gewesen zu sein – aber er besaß gleichzeitig ein umfangreiches geheimes Schriftstück des Erzbischofs, daß er auf dessen Wei- sung, fast unter dessen Druck, gleichsam mit einer religiösen Aufgabe in die Partei gegangen war…
Seitdem kein Krieg mehr war, ging alles so glatt, daß es ihn anwiderte: Geld zu verdienen war so leicht, daß ihn jedesmal Spott und Ekel ergriff, wenn er die Bündel aus dem Geldschrank
nahm, sie durchzählte und wieder verschloß. Es wäre lächerlich
gewesen, sich in die Kontrollierbarkeit eines Bankkontos zu begeben: eine halbe Mansarde voll von Kunstgegenständen, die er, weil sie ihm mißfallen hatten, dort abgestellt hatte, brachte ihm mehr Geld ein, als ihm früher durch den Verkauf zweier Gutshöfe zugefallen wäre…
Früher, dachte er, steckte eine Zigarre an und ließ noch einmal die Druckfahnen des Gotteslammes durch seine Finger gleiten, ohne sie zu sehen. Früher hatten ihm eine Menge Dinge Freude
gemacht: Goethe zu lesen, seine Gedanken darüber niederzu-
schreiben, auszufeilen und sie dann gedruckt zu sehen: oder eine religiöse Zeitschrift aufzubauen, sie wachsen zu sehen, auch wenn er sie dann den müden und unfähigen kirchlichen Behör- den gleichsam fertig in den Schoß legen mußte. Nichts mehr interessierte ihn heute…
Er drehte die Zigarre in den Fingern und überließ sich seinen Erinnerungen, er blickte sie an wie Photos eines fremden und langweiligen Lebens; unendliche Öde lösten sie aus: eine ganze Kiste von Bildern, die ihn nichts angingen, während er gezwun- gen war, sie anzusehen: eine Kette unendlich vieler langer Nachmittage schien sich aufzutun, angefüllt mit der Öde eines zu vollen Magens und dem Klavierspiel einer Anfängerin, die dazu verdammt ist, ewig in der Mittelmäßigkeit herumzuklim- pern.
Einzig, sooft ihm seine Frau einfiel, kam der Haß hoch, sta-
chelte ihn auf, machte ihn für Augenblicke warm, nur für Au-
genblicke, denn auch mit ihr empfand er Mitleid, dieser Schön- heit mit dem Profil einer italienischen Fürstin…
Langeweile, Ekel und ein bißchen Wollust: Langeweile, Wi- derwillen und der
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