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Der Engel Schwieg.

Der Engel Schwieg.

Titel: Der Engel Schwieg. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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stützte…

XIII
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    Die hohe graue Flanke der Kirche war aufgerissen zwischen zwei Pfeilerstützen, breit und hoch, und in der Öffnung stand das Tageslicht grau und hell wie in einem riesigen Tor: Steinbrocken lagen unten wie nach einer Felssprengung. Ringsum häufte sich Geröll, aber am Eingang fand er Spuren von Aufräumungsarbeit und ging auf den glatten weißen Fliesen zwischen den aufge- häuften Trümmern darauf zu und drückte die Brettertür auf, die ins Innere führte: er erschrak, die roh zusammengehauene Tür war nur angelehnt, sie drehte sich bei seiner Berührung, fiel auf ihn, und er fing sie mühsam auf und lehnte sie wieder an. Drin- nen war es still, Vögel flogen durch den Raum: er hörte sie pfei- fen. Irgendwoher kam das Piepsen der Jungen, und sofort fiel sein Blick auf einen verbeulten Leuchter, der noch im Gewölbe verankert war: die Kette schaukelte, krächzte leise, und er sah zwei fette Spatzen, die auf dem Metallkranz wippten. Sie flogen auf, als er weiterging. Nur in einem kleinen Umkreis der Tür war aufgeräumt, der Schutt weggeräumt; als er weiterging, mußte er über Steinbrocken klettern, und er blickte auf, als er ins Mittel- schiff trat: aus dem großen Riß in der Flanke fiel das Licht grell in die Zerstörung: die Heiligen oben waren alle gekippt, ihre Sockel leer, oder nur stumpfe häßliche Reste klebten oben an der Mauer: irgendwo zwei Beine, bis zu den Knien, ein einsamer Armstummel, der sehr sorgfältig im Gewölbe befestigt gewesen war, und ein breiter Mauerriß zeichnete sich scharf und schwarz wie das Schattenbild einer Treppe von oben bis unten ab. Oben im Gewölbe stand der Himmel wie ein scharf ausgezacktes Stück Grau, und er sah einen zweiten tiefen Riß, der bis in die große Flankenwunde lief, schmal werdend, mit hellem Licht gefüllt, sich wieder erweiternd, und er konnte genau die Dicke der Mauer verfolgen, die vom Gewölbe aus sich verstärkte und unten am Erdboden breit war wie eine Tür, schwer und grau.
    Sein Blick blieb unten: der Altar war verschüttet, das Chorge-
    stühl vom Luftdruck umgekippt, er sah die breiten braunen
    Rückwände wie zu einer höhnischen Anbetung geneigt. Auch die untere Reihe der Säulenheiligen war lückenhaft: zerkratzte Torsi und zerschundener Stein, häßlich in seiner Verstümmelung und schmerzhaft verzerrt, als sei er lebendig gewesen: die teufli- sche Häßlichkeit fiel ihm auf: manche Gesichter grinsten wie wilde Krüppel, weil ihnen ein Ohr fehlte oder das Rinn oder weil seltsame Risse ihr Gesicht verzerrten, andere waren kopflos, und der steinerne Halsstummel ragte schrecklich über den Körper hinaus. Schlimm auch waren die, denen die Hände fehlten, sie schienen fast zu bluten, stumm flehend, und eine barocke Gips- figur war merkwürdig gespalten, fast eingedrückt wie ein Ei: das blasse Gipsgesicht des Heiligen war unversehrt, ein schmales trauriges Jesuitengesicht, aber Brust und Bauch waren aufgeris- sen, der Gips heruntergebröckelt, er lag in weißlichen Scheiben zu Füßen der Figur, und aus der düsteren Höhlung des Bauches quoll Stroh heraus, mit erhärtetem Gips getränkt.
    Er kletterte weiter, vorbei an der Kommunionbank in die linke der beiden Conchen: die Fresken waren unversehrt; das Tages- licht fiel voll auf sie. Wunderbar blasse und zugleich leuchtende
    Farben eines alten Freskos stellten die Anbetung der Heiligen
    Drei Könige dar. Noch in der Verblichenheit leuchtend, an man- chen Stellen nur noch schwach gefärbte Zeichnung, erschien ihm das Bild tröstlich, weil es unversehrt war; auch der Nebenaltar war heil, er schien sogar gesäubert zu sein: die Mensa war blank, und ein Blumenstrauß stand vor dem steinernen Tabernakel, und als er sich umblickte und ins Seitenschiff sah, waren die dunklen Beichtstühle leicht vorgeneigt, plumpe kippende Kästen mit Staub bedeckt und Mörtelbrocken, und fern am Ende der niedri- gen Säulenreihe sah er ein Licht, das er bisher nicht entdeckt hatte: er ging darauf zu. Die Kerze brannte vor einem Muttergot- tesbild, und neben ihr hing das große hölzerne Kruzifix, das früher im Gewölbe vor dem Leuchter gehangen hatte…
    Er schob Steinbrocken und Dreck von einer Bank und setzte sich. Als er zuletzt in einer Kirche gewesen war, war noch Krieg gewesen, und es schien unendlich lange her, obwohl erst ein
    Monat seitdem verstrichen war. Die Kerze flackerte unruhig vor
    einem Gnadenbild, dessen hölzerner Grund sich von Feuchtig- keit

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