Der Engelmörder - Spindler, E: Engelmörder
Die Euphorie der letzten Stunden begann ihr zu entgleiten, doch sie wollte noch nicht loslassen. Wenigstens noch ein paar Minuten … „Du meinst, abgesehen vom guten Sex und einem richtigen Frühstück?“
„Hör auf damit. Reiß nicht einfach einen Witz, und schließ mich nicht aus. Das hast du damals …“ Den Rest verschluckte er, stand auf, spülte den Teller ab und drehte sich erst dann wieder zu ihr um. Sie sah, dass er leicht zitterte. „Du hast mir damals das Herz gebrochen, Kitt. Wir hatten Sadie verloren, und dann … dann verlor ich dich auch noch.“
„Ich weiß. Es tut mir auch le…“
„Nein“, fiel er ihr ins Wort. „Es tut dir nicht leid. Du kannst dir ja gar nicht vorstellen, wie ich mich fühlte, als ich hilflos mit ansehen musste, wie du dich selbst zugrunde gerichtet hast. Du weißt nicht, was für ein Schmerz das war, neben dir zu stehen und trotzdem so endlos weit von dir entfernt zu sein. Dabei habe ich dich gebraucht … so sehr gebraucht.“
Seine Worte taten ihr weh. Kitt presste die Lippen zusammen und wünschte sich, sie könnte sie leugnen und sich dagegen zur Wehr setzen. Doch wie sollte man sich gegen die Wahrheit zur Wehr setzen?
„Ich habe lange Zeit getrauert“, fuhr er fort. „Dann kam die Wut, eine Wut, die so schlimm war, dass ich dachte, sie würde mich innerlich auffressen.“
Diese Wut hatte er ihr gegenüber nie erkennen lassen, weder in Worten noch in Taten. Vielleicht war sie aber auch so sehr von ihren eigenen Gefühlen vereinnahmt gewesen, dass sie davon nichts bemerkt hatte.
Der schöne Traum, es könnte nach der letzten Nacht doch noch ein Happy End geben, kam ihr jetzt albern vor.
Im Eifer der Selbsterkenntnis und der Leidenschaft war es einfach gewesen, so etwas für möglich zu halten. Sie liebte ihn, er liebte sie. Doch im grellen Licht eines neuen Tages erkannte sie, wie schwierig und kompliziert das war, was sie für so simpel gehalten hatte.
„Du musst mich dafür hassen.“
„Ich habe festgestellt“, erwiderte er, „dass Liebe und Hass gar nicht so weit voneinander entfernt liegen.“
Sie hielt seinem Blick stand, obwohl es sie schmerzte, Joe anzusehen. Doch sie fand, dass sie es ihm schuldig war. „Ich weiß nicht, was ich sagen soll, außer dass es mir leid tut.“
„Mir tut es auch leid.“
Tränen ließen Kitt nach Luft ringen. Auch wenn es für sie kein Happy End geben konnte, fühlte sie sich unvergleichlich besser als noch vor vierundzwanzig Stunden.
Jetzt stand sie zu ihren Gefühlen, und jetzt war sie wieder fähig zu lieben.
„Brian ist tot“, sagte sie leise. „Er wurde gestern Abend ermordet.“
„Brian? Mein Gott!“
„Ich kann zu den Gründen nichts sagen, aber sein Tod dürfte im Zusammenhang mit den Morden des Nachahmungstäters stehen.“
Joe kam zum Tisch zurück und ließ sich auf seinen Stuhl sinken. Während er sie wie benommen ansah, fuhr sie fort: „Der Mann, der sich als der Engelmörder ausgibt, rief mich gestern Abend wieder an. Ich sollte ihm von dir erzählen, von uns, von unserer Liebe, unserer Ehe. Im Gegenzug versprach er mir den Namen des Trittbrettfahrers.“
„Und? Gab er ihn dir?“
„Nein. Stattdessen gab er mir einen weiteren Hinweis.“
„Und dann bist du hergekommen?“
„Während ich ihm von uns erzählte, wurden mir all die Dinge und Gefühle bewusst, die ich die ganze Zeit über verdrängt hatte.“
Nun war sie diejenige, die aufstand, da sie sich beruhigen musste. Als sie ihre Gedanken geordnet hatte, wandte sie sich Joe zu. „Ich wusste immer, dass ich dich noch liebe. Aber ich dachte, ich könnte mich nicht genügend von dem Schmerz lösen, um wieder lieben zu können – in dem Maß, wie du es verdient hattest.“
„Und jetzt?“
„Erinnerst du dich an die Wohltätigkeitsveranstaltung, als du sagtest, du müsstest wieder leben? Ich möchte auch wieder leben. Ich möchte den Schmerz hinter mir lassen, damit ich ohne ihn leben kann.“
Joe nahm ihre Hand und legte seine Finger fest um ihre. Es erinnerte sie an jenen schrecklichen Tag, als der Arzt mit der Diagnose zu ihnen kam und sie sich auf das Schlimmste gefasst machten.
Gemeinsam. Für immer. Unwiderruflich.
„Es ist etwas komplizierter, weil es nicht nur um dich und mich geht“, meinte er ruhig. „Das ist dir klar, oder?“
Es war ihr vollkommen klar. Valerie. Ihr Kind.
Zu viel Zeit war verstrichen, um noch ein Happy End möglich zu machen.
Sie hielt seine Hand fest. „Sag mir nur eines, Joe:
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