Der Engelspapst
eine Frau zu nehmen und Kinder zu zeugen. In Begleitung seiner Frau und der gemeinsamen Kinder gelangte Jeschua in die am Meer gelegene Stadt Joppe, die wir heute als Hafenstadt Jaffa kennen. Joppe besaß noch keinen ausgebauten Hafen, aber es verkehrten zahlreiche größere Handelsschiffe dort, die vor der Küste ankerten und mittels kleinerer Boote be-und entladen wurden. Josephs Geld und Einfluss ermöglichten es, Jeschua und die Seinen an Bord eines solchen Schiffes zu bringen, das noch am selben Tag nach Gallien ablegte. Dort sollten die Verfolgten eine neue Heimat finden.»
«Sie schildern das alles so detailliert, als seien Sie dabei gewesen.»
«In gewisser Weise könnte man das sagen.» Custos griff wieder nach dem Smaragd und drehte ihn so, dass Alexander erst das freundliche und dann das düstere Antlitz sah. «Jeschua-Jesus verlässt also die Bühne unseres Dramas. Auftritt für Judas Thomas oder Judah Toma, den Zwilling des Herrn.»
«Auf den habe ich die ganze Zeit gewartet», seufzte Alexander. «Wo war er, als Jesus gefangen, verurteilt und hingerichtet wurde?»
«Nicht in Jerusalem. Die Zwillinge hatten sich über eine grundsätzliche Frage zerstritten. Jeschua wollte das Judentum von innen erneuern, Judah Toma war das zu langwierig. Er und seine Anhänger plädierten dafür, einen neuen Glauben zu begründen, der die guten Elemente des althergebrachten enthalten, die Gesetze aber weniger streng, weniger einengend für die Menschen auslegen sollte.»
Alexander schnippte mit den Fingern. «Und als sein Zwillingsbruder für tot gehalten wurde, hielt er seine Stunde für gekommen.»
«Mehr noch, Jeschua galt als von den Toten auferstanden. Das war ja gerade der Witz!»
Custos ereiferte sich so, dass er sich verschluckte. Er hustete heftig und Alexander sah das Bild des Blut und Galle spuckenden Gekreuzigten vor sich.
Der Papst trank einen weiteren Schluck Wasser und sagte:
«Wie gesagt, die Tempelpriester und die mit ihnen verbündeten Ratsherren trauten dem Frieden nicht, der mit Jeschuas Kreuzigung eingetreten war. Sie versetzten sich gegenseitig in Unruhe und brachten schließlich Pontius Pilatus dazu, das Grab zu öffnen, um nach dem Leichnam des Gekreuzigten zu sehen.
Ironie des Schicksals, dass sie damit die Legende von der Auferstehung selbst begründet haben. Das Grab war leer und der geheime Gang so gut verborgen, dass es für das Verschwinden des vermeintlichen Toten keine vernünftige Erklärung gab. Das war die Gelegenheit für Judah Toma, sich als den von den Toten Auferstandenen zu präsentieren. Damit hatten er und seine Anhänger genau das gefunden, wonach sie lange gesucht hatten: die göttliche Leitfigur einer neuen Glaubensrichtung.»
«Es müssen doch Menschen aus der Gefolgschaft des echten Jesus den Schwindel bemerkt haben.»
«Vielleicht gab es Skeptiker, denken Sie nur an die Geschichte vom ungläubigen Thomas. Jedenfalls wurden die Auftritte des Auferstandenen klug inszeniert. Wie Sie wissen, erscheint der Herr in den Evangelien seinen Jüngern zumeist unerwartet und nur für kurze Zeit. Und er vermeidet einen zu engen Kontakt.
Johannes schildert, wie Maria Magdalena Jesus nach der Auferstehung sieht und ihn umarmen will. Er aber weicht vor der alten Vertrauten zurück und befiehlt ihr, ihn nicht anzurühren. So ähnlich könnte es sich tatsächlich zugetragen haben.»
«Trotzdem ein gewagtes Spiel.»
«Nein, das war es nicht, weil es gut durchdacht war und zeitlich eng begrenzt zudem. Laut der Apostelgeschichte dauerte der Spuk vierzig Tage, was in etwa stimmen dürfte. Danach wurde in Judäa weder Jeschua noch sein Zwilling je wieder gesehen. Der falsche Messias verschwand von der Bildfläche.
Ob er sich nur bedeckt hielt oder ob er ausgeschaltet wurde, wissen wir nicht. Vielleicht haben ihn sogar die eigenen Anhänger getötet, als sie ihn nicht mehr brauchten. Er hätte ihr Lügengebäude mit einem Wort zum Einsturz bringen können.
Das geschah nicht und die Legende von der Auferstehung durch Gottes Macht war begründet.»
«Hat der echte Jesus nicht versucht, in seine Heimat zurückzukehren?»
«Er ist wenige Jahre nach seiner Ankunft in Gallien gestorben.
Die genauen Umstände sind ungeklärt. Es heißt, er sei einem Anschlag zum Opfer gefallen.»
«Den sein Zwillingsbruder oder dessen Gefolgsleute verübt haben?»
«Vielleicht. Wir wissen es nicht.»
«Das ist alles so … unglaublich …»
Custos hielt den Smaragd hoch. «Sehen Sie sich die Wahre
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