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Der Engelspapst

Der Engelspapst

Titel: Der Engelspapst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jorg Kastner
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Nur um zu vermeiden, dass meine geheimen Worte an unbefugte Ohren dringen, näherte ich mich dem Heiligen Vater.»
    Langsam streckte er seine Hände aus den weiten Ärmeln, um zu zeigen, dass er keine Waffe in ihnen verborgen hielt.
    «Wir danken dir, mein Sohn», sprach Papst Clemens mich an.
    «Aber wir glauben diesem Fremdling. Wenn er seine Worte unbedingt flüstern will, so soll er es tun.»
    Zögernd wich ich zurück und ebenso zögernd folgten mir unser Hauptmann Kaspar Röist und sein Leutnant Herkules Göldli. Wachsam und mit Sorge beobachteten wir, dass der Schwarze sich über unseren Heiligen Vater beugte wie ein riesenhafter Rabe, der nach seiner Beute pickt. Für einen Augenblick meinte ich wirklich, der Fremde werde Seine Heiligkeit auf der Stelle verschlingen, und kalte Schauer rieselten mir über den Rücken.
    Der Papst war unversehrt, als der Schwarze wieder neben die Hauptleute trat, jedenfalls äußerlich. Sein Gesicht aber war aschfahl geworden, die Augen flackerten wie die eines in die Enge getriebenen Wildes, und die Hände umfassten in krampfhaften Zuckungen die Armlehnen seines Stuhls. Jetzt blickte auch er den Fremden an wie den Leibhaftigen.
    «Nun», sagte der Unheimliche mit forderndem Unterton. «Wie steht Eure Heiligkeit zu dem Vorschlag?»
    Unser Heiliger Vater rang nach Luft und musste mehrmals ansetzen, bis seine bebenden Lippen endlich die Worte formten:
    «Wer … wer seid Ihr? Und woher wisst Ihr das?»
    «Mein Name ist nicht wichtig, doch wenn es Euch gefällt, so nennt mich Abbas de Naggera. Woher ich es weiß, ist ebenso wenig von Belang. Von Bedeutung ist nur, dass ich es weiß!»
    «Ihr könnt es nur wissen, so Ihr mit den bösen Mächten im Bunde seid!»
    Der Schwarze stieß ein triumphierendes Lachen aus. «Dann gebt Ihr also zu, dass ich die Wahrheit traf!»
    Clemens biss auf seine Unterlippe und schwieg. Als er sich wieder gefangen hatte, sagte er: «Was Ihr sucht, befindet sich nicht hier. Ich habe es fortschaffen lassen, als der Heerhaufen in die Nähe von Rom gelangte.»
    «Ihr solltet wissen, dass sich versündigt, wer lügt, Heiligkeit.»
    Der Papst wollte etwas erwidern, aber der dreiste Kerl, der sich Abbas de Naggera nannte, schnitt ihm das Wort ab: «Ich weiß, dass Ihr lügt. Und meine Geduld ist am Ende. Also antwortet mir: Geht Ihr auf meinen Vorschlag ein oder nicht?»
    Es gab niemanden im Konsistorium, dessen Augen nicht am Heiligen Vater gehangen hätten. Mochte auch keiner außer ihm und dem Herrn de Naggera wissen, worüber sie stritten, so waren zwei Dinge doch uns allen klar: Was der Schwarze vorgeschlagen hatte, war so ungeheuerlich, dass Clemens nicht darauf eingehen konnte. Und ging er nicht auf den Vorschlag ein, würde er Rom und womöglich alle Menschen in dieser Stadt der Raubgier und Mordlust des verwahrlosten Söldnerhaufens opfern.
    Lange schien es, als könne der Papst sich nicht zu einer Entscheidung durchringen. Doch dann richtete er sich mit einer ruckartigen Bewegung auf, als wollte er aufspringen und seinen Widerpart zu Boden schmettern.
    «Ich kann nicht tun, was Ihr verlangt!»
    «Dann stirbt Rom», erwiderte der andere.
    «Vielleicht wird Rom sterben, aber eines ist sicher: Eure schwarze Seele wird niemals ins Himmelreich gelangen, nicht in tausend Jahren!»
    «Ihr mögt Recht haben», sagte Abbas de Naggera ernst. «Aber wo immer ich für meine Sünden büße, Ihr werdet nicht fern sein, Heiligkeit.»
    Mit dieser Dreistigkeit wandte er sich zum Gehen, und die Hauptleute schlossen sich ihm an. Als wir die Gesandtschaft aus dem Vatikan reiten sahen, ahnte ich, dass uns Schreckliches bevorstand. Aber noch lagen die Abendschatten zwischen uns und dem blutigen sechsten Mai. Dem Tag, an dem die meisten meiner Kameraden sterben und ich die Bekanntschaft des unglückseligen Goldschmieds Cellini machen sollte.
    Lange nachdem die Gesandten des Herzogs von Bourbon längst jenseits unserer Mauern verschwunden waren, stand Papst Clemens der Schrecken noch ins Gesicht geschrieben. Nicht der Schrecken angesichts dessen, was Rom und uns allen drohte, sondern die Furcht vor dem, was Abbas de Naggera ihm zugeraunt hatte. Allen, die Zeugen dieser Begegnung gewesen waren – den Kardinälen und Bischöfen, den Sekretären und uns Guardiknechten –, verlangte er das Versprechen ab, darüber stillzuschweigen. Und wenn ich diesen Geheimen Bericht dennoch verfasse, so deshalb, weil ich glaube, die Kenntnis über die merkwürdigen Ereignisse im Jahre des

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