Der Engelspapst
Seiteneingang der Audienzhalle, durch den gerade die letzten Rollstühle geschoben wurden. Er zog ein Funkgerät aus der Jackentasche und sagte: «Tessari für Parada. Wir sind bereit. Der Chef kann kommen.»
Keine fünf Minuten später fuhr eine kleine Kolonne schwarzer Limousinen vor, darin die hohen geistlichen Würdenträger und der Papst. Er saß mit seinem Privatsekretär im Fond eines gepanzerten Mercedes, der von dem alten Ferdinando Zanni gesteuert wurde. Zanni, der zum Apostolischen Palast gehörte wie der Obelisk zum Petersplatz, hatte schon dem vorherigen Papst als Kammerdiener und Chauffeur gedient. Er galt als verlässlich und verschwiegen. Auf dem Beifahrersitz hatte Aldo Tessari Platz genommen.
Die Gardisten nahmen Haltung an, und von Gunten salutierte vor dem aussteigenden Papst. Custos strich sein weißes Gewand glatt und begrüßte Parada und von Gunten.
«Ziemlich viel los da drinnen, wie?»
«Ja, Heiligkeit», antwortete Parada. «Die Halle platzt aus allen Nähten.»
Der Papst kratzte sich verlegen am Hinterkopf. «Möge der Herr geben, dass die Leute mit mir zufrieden sind.»
Aus der Limousine hinter dem Wagen des Papstes war Kardinal Musolino gestiegen. Der Staatssekretär war groß und hager. Sein längliches, faltiges Gesicht wirkte so düster wie seine schwarze Soutane. Musolinos Amtsführung war außerordentlich streng.
Hinter vorgehaltener Hand sprachen seine Untergebenen und andere Mitarbeiter des Vatikans schon mal von «Mussolini» oder nannten ihn «Duce».
Da der Staatssekretär sein Amt bis zum Tod des Papstes innehat, hatten nicht wenige im Vatikan die Hoffnung gehegt, mit dem neuen Papst werde auch ein neuer Kardinal an die Spitze des vatikanischen Staatssekretariats rücken. Doch Custos hatte Domenico Musolino in seinem Amt bestätigt. Vermutlich war es für einen Pontifex wie ihn, der keine große Hausmacht im Vatikan besaß, wichtig, einen erfahrenen und respektierten Premierminister – wie man den Staatssekretär häufig bezeichnete
– zur Seite zu haben.
Alexander wusste nichts darüber, ob der Papst mit seinem Staatssekretär zufrieden war oder nicht. Doch es war ein offenes Geheimnis, dass die Äußerungen des Heiligen Vaters bei Musolino regelmäßig zu Wutausbrüchen führten. Auch die letzte Bemerkung des neuen Oberhirten hatte ihn offensichtlich vergrätzt. Er blickte gen Himmel, als wollte er einen stillen Stoßseufzer aussenden, doch dann folgte er dem Papst in die Audienzhalle.
Zwei Gardisten hielten an der Außentür Wache, zwei blieben am oberen Ende des Ganges zurück. Utz und Alexander begleiteten den Papst nach unten. Bei ihnen waren Shafqat, von Gunten, Parada und Tessari sowie ein Trupp der Vigilanza. Musolino und die anderen Würdenträger folgten in einigem Abstand.
Im Innern der Halle begann der Albtraum eines jeden Leibwächters. Tausende von Menschen sprangen jubelnd von ihren Sitzen auf und drängten an die Absperrgitter zu beiden Seiten des Mittelgangs. Fotoapparate klickten im Takt von Sekundenbruchteilen, Blitze zuckten durch die Halle. Die Scheinwerfer der Fernsehteams warfen dem Papst und seinen Begleitern blendende Lichtbündel entgegen. Nach jedem Schritt blieb Custos stehen, schüttelte Hände und streichelte Kinderköpfe, auf dem Gesicht ein Lächeln, das nicht nur geduldig wirkte, sondern zutiefst erfreut über die Begeisterung und Herzlichkeit, die man ihm entgegenbrachte.
Die Gardisten und Gendarmen hatten alle Mühe, die Gläubigen jenseits der Absperrungen zu halten. Den Papst dabei auch noch hundertprozentig vor einem Attentat schützen zu wollen war eine bloße Illusion. Jede der unzähligen vorschießenden Hände konnte ein verstecktes Messer oder ein Säurefläschchen halten. Alexander starrte in die Gesichter, in die Augen, wie er es bei Commissario Donati gelernt hatte. Ein Attentäter verriet sich zuerst durch seine Augen. Noch bevor die Hand mit dem Messer vorschnellte oder der Zeigefinger sich um den Abzug krümmte, richtete der Blick sich auf das Opfer – in jener seltsamen Starre, die den Entschluss zu töten begleitete.
Wer das rechtzeitig bemerkte, hatte wichtige Sekundenbruchteile gewonnen, sich schützend vor den Heiligen Vater zu werfen oder ihn zu Boden zu reißen.
Doch sie schienen vergeblich nach jenem verräterischen Blick Ausschau zu halten. Ihre ganze Arbeit bestand darin, die jubelnde Menge zurückzudrängen. Besonders Ovasius Shafqat tat sich dabei hervor. Die Bärenpranken des kräftigen
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