Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Engelspapst

Der Engelspapst

Titel: Der Engelspapst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jorg Kastner
Vom Netzwerk:
eines schräg abwärts führenden Ganges erstreckten sich endlose Reihen von Klappsitzen aus schwarzem und grauem Plastik, höhenmäßig abgestuft wie in einem Theater.

    Über sechstausend Menschen fanden hier üblicherweise Platz.
    Jetzt allerdings hatte man ein paar tausend Sitze abmontiert, um über eine größere Zahl an Stehplätzen eine Aufnahmekapazität von mehr als zwölftausend Menschen zu erreichen. Zwischen den zweiundvierzig kahlen Doppelbögen, die das gewellte Dach trugen, saßen unzählige kleine Fenster, die das Tageslicht in winzige Inseln diffuser Helligkeit verwandelten. Keine Kruzifixe, keine Fresken oder Wandteppiche mit religiösen Motiven schmückten den Raum.
    Der Gang endete nach über achthundert Metern vor einer erhöhten Bühne mit einem Thron für den Papst und Stühlen für hohe geistliche Würdenträger. Nur hinter dem Thron gab es, abgesehen von den farbigen Seitenfenstern, einen Hinweis darauf, dass diese Halle ein Haus Gottes war: die größte Bronzestatue der Welt, das von Pericle Fazzini geschaffene Relief des Auferstandenen Christus.
    Die Pilger drängelten nach vorn, um einen der Sitzplätze zu ergattern. Gendarmen der Vigilanza sorgten dafür, dass die für Ehrengäste und Kranke abgesonderten vorderen Sitzreihen frei blieben. Die Vatikanisten besetzten die in die Wand eingelassene Pressetribüne bis auf den letzten Platz. Auch jede der direkt neben der Tribüne liegenden Übertragungskabinen für Rundfunkreporter war belegt. Pressefotografen und Kamerateams verschiedener Fernsehsender tummelten sich am Rand der Bühne und konnten von der Vigilanza nur mühsam zurückgehalten werden. Sämtliche bedeutenden Fernsehkanäle wollten Bilder von der ersten Generalaudienz des neuen Papstes einfangen, einige übertrugen das Ereignis sogar live.
    Die Gendarmen schlossen die Tore, als Oberstleutnant von Gunten mit sechs seiner Gardisten vor dem Eingangsbereich aufmarschierte. Die Ehrenwache für den Papst. Ihr gehörten auch Alexander Rosin und Utz Rasser an. Sie trugen Gala: die bunten Medici-Uniformen, weiße Handschuhe und die glänzenden Helme mit den roten Federbüschen. Die auf den ersten Blick sichtbare Bewaffnung bestand aus der Hellebarde und dem an der linken Seite hängenden Schwert. Nur wer genauer hinsah, entdeckte an ihren Gürteln neben kleinen Funkgeräten das Reizgasspray. Bei einer so gewaltigen Menschenmenge, wie sie an diesem Tag in der Audienzhalle versammelt war, musste man jederzeit mit einem Zwischenfall rechnen.
    Riccardo Parada, der einen grauen Dreiteiler trug, trat auf die Gardisten zu und begrüßte von Gunten. «Wir lassen jetzt die Kranken und Behinderten ein. In fünf Minuten kann der Chef kommen. Ich bin gespannt, wie sein erster Auftritt in der Halle abläuft.»
    «Ich auch.»
    Anton von Gunten zeigte sich nicht nur wortkarg, er machte auch ein reichlich düsteres Gesicht. Alexander konnte ihn verstehen.
    Wahrscheinlich war es eine Qual für den kommissarischen Kommandanten, diesen Tag durchzustehen. Es war der sechste Mai, der Tag des Sacco di Roma, der Ehrentag der Schweizergarde. Nach altem Brauch wurden an diesem Tag die jungen Rekruten mit großem Pomp auf dem Uamasushof vereidigt. Unter den Augen Hunderter Gäste, hoher Geistlicher, Politiker und Militärs, Vertreter der Schweizerischen Eidgenossenschaft und natürlich der stolzen Angehörigen schworen die Rekruten im vollen Grangala-Harnisch auf die Gardefahne, dem regierenden Papst und seinen rechtmäßigen Nachfolgern treu, redlich und ehrenhaft zu dienen, bereit, wenn es erheischt sein sollte, das Leben für sie hinzugeben. Auch Alexander hatte diesen Schwur geleistet. In diesem Jahr jedoch fiel die Jubelfeier aus. Zu drückend lastete der Mord am Gardekommandanten auf der Einheit und auf dem ganzen Vatikan. Erst gestern waren Heinrich und Juliette beigesetzt worden. Die Kurie hatte angesichts dessen eine fröhliche Feier für unangemessen erachtet. Die Rekruten würden ihren Eid am Abend nur im Beisein des Gardekaplans und des kommissarischen Kommandanten leisten.
    «Ich bin wirklich gespannt», wiederholte Parada, als sei ihm von Guntens Wortkargheit peinlich. «Die Kardinäle scheinen schon zu zittern, wenn sie nur an die unorthodoxen Methoden des Heiligen Vaters denken.»
    Von Gunten erwiderte nichts. Offenbar hatte er nicht vor, sich auf eine Diskussion über das Verhältnis des Papstes zur Kurie einzulassen.
    Frustriert wandte der Sicherheitschef sich ab und blickte hinüber zum

Weitere Kostenlose Bücher