Der Engelspapst
um den Oberst. Dann wird der Tod der Frau verständlich und auch der Anschlag auf Ihr Leben.»
«Von welchem Anschlag …»
«Spielen Sie nicht den Scheinheiligen, Alexander!» Elena war jetzt richtig in Fahrt. «Haben Sie wirklich nicht daran gedacht, dass die beiden Killer auf der Piazza Farnese es auf Sie und nicht auf den Commissario abgesehen haben könnten?»
«Doch, das habe ich», gestand Alexander. «Aber ich habe vergeblich nach einem Grund gesucht.»
«Vielleicht reicht Ihrem Feind, dass Sie den Namen Rosin tragen. Immerhin, die Familie steht seit fünfhundert Jahren im Dienst des Heiligen Stuhls. Könnte sie sich in dieser langen Zeit nicht Feinde geschaffen haben, Todfeinde?»
«Die sich an den Nachkommen rächen? Glauben Sie das allen Ernstes?» Alexander starrte Elena ungläubig an. «Das klingt nach dem alttestamentarischen Gott, der Rache übt bis ins dritte und vierte Glied.»
«Vielleicht geht es gar nicht um Rache.»
«Sondern?»
«Hassen und töten kann man auf vielerlei Weise, aber in den Motiven gibt es nur wenige Variationen. Was treibt einen Menschen zum Äußersten? Habgier, Furcht, Eifersucht.»
«Ich bin nicht reich und bin mir auch nicht bewusst, für irgendjemanden eine Gefahr darzustellen.»
«Sie sind ein gut aussehender Mann», sagte Elena mit einem hintergründigen Lächeln. «Wie wär’s mit dem Motiv der Eifersucht?»
Vielleicht zögerte er ein wenig zu lange mit seiner Antwort:
«Ich wüsste nicht, wer dazu einen Grund haben sollte.»
In gewisser Hinsicht stimmte das auch, jedenfalls seit einigen Tagen. Er war erleichtert, dass Elena sein Zaudern nicht bemerkt hatte.
«Dann muss es doch etwas sein, das mit Ihrer Familie und deren Geschichte zusammenhängt. Rom ist voller Geheimnisse, geschickt verborgen hinter dem Offensichtlichen. So wie dieser friedliche Platz mit seinen kunstvollen Ausschmückungen Missgunst und Eifersucht nur unzulänglich verdeckt.»
«Sie werden kryptisch, Elena.»
Sie zeigte quer über den Platz zur anderen Seite. «Sehen Sie sich doch nur den Vierströmebrunnen und dahinter die Kirche der heiligen Agnes an. Kann es ein schöneres Beispiel für die offensichtlichen Geheimnisse geben? Die beiden Bauwerke sind Symbole des römischen Barock und zugleich des unerbittlichen Wettstreits seiner beiden hervorragendsten Architekten.
Francesco Borromini, der eine unüberwindliche Abneigung gegen gerade Linien hegte, entwarf die Kirche mit der konkaven Fassade. Zu seiner Zeit, da das Ausnutzen des Raumes zur Maxime erhoben war, eine geometrische Revolution. Die zahlreichen Spötter, zu denen auch sein Konkurrent Giovanni Lorenzo Bernini gehörte, ein entschiedener Verfechter der klaren Komposition, befürchteten, die Kirche könnte jeden Augenblick einstürzen. Sehen Sie sich Berninis Brunnen direkt vor der Kirche gut an. Die Statuen, die sich um den Obelisken ranken, verkörpern die Flussgötter der größten Ströme der vier damals bekannten Kontinente: Donau, Ganges, Nil und Rio de la Plata.
Der Gott des Nils hat sein Haupt verhüllt.»
«Darüber habe ich gelesen», warf Alexander ein. «Bernini hat die Figur so dargestellt, weil die Quellen des Nils zu seiner Zeit noch nicht bekannt waren.»
«Das ist die eine Version.» Elena lächelte hintergründig. «Man sagt aber auch, der Nilgott verhülle sein Antlitz, weil er Borrominis schlimme Konstruktionsfehler und Stilbrüche in Sant’Agnese nicht ertragen könne. Und sehen Sie, wie der Gott des Rio de la Plata abwehrend seine Hand erhebt? Es heißt, er wolle den Einsturz der Kirche verhindern. Borromini wiederum soll die Statue der heiligen Agnes an den rechten Glockenturm gestellt haben, um zu beweisen, wie fest sein Bauwerk steht.»
«Der Lauf der Jahrhunderte hat ihn bestätigt.»
Ohne auf Alexanders Bemerkung einzugehen, fuhr Elena fort:
«Und warum dieser Zweikampf? Haben Bernini und Borromini einander wirklich so sehr gehasst, dass ein Bauwerk das andere befehdet? Wenn ja, welche Geheimnisse mögen noch in ihren Werken stecken? Rom ist voll von solchen Geschichten und verborgenen Rätseln, die auf den ersten Blick nur amüsant scheinen, dann aber, wenn man tiefer in sie eindringt, Gefahr und Schrecken verströmen.»
«Gefahr und Schrecken verströmen in meinen Augen eher skrupellose Killer, die mit überdimensionalen Schrotflinten rumballern.»
«Das eine schließt das andere nicht aus. Die Vergangenheit hinterlässt der Gegenwart mehr als nur toten Stein, als Brunnen und
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