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Der Engelspapst

Der Engelspapst

Titel: Der Engelspapst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jorg Kastner
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volle Tragweite der Streitfrage ermessen zu lassen.
    «Wer Jesus zu einem Geschöpf Gottes erklärt, wenn auch zum allerhöchsten, greift den Kernpunkt des christlichen Glaubens an, die Versöhnung zwischen Gott und Mensch. Dann wäre Gott nicht mitten unter den Menschen erschienen, hätte sich ihnen nicht offenbart. Der Mensch könnte nicht durch die Eucharistie am Leib Gottes teil haben. Die ganze christliche Lehre geriete ins Wanken.»
    «Aber in Nicaea ist anders entschieden worden», sagte Alexander.
    «Und das mit überwältigender Mehrheit. Fast alle der zweihundertfünfzig anwesenden Bischöfe sprachen sich für die Wesensgleichheit von Gott und Jesus aus. Nur zwei verweigerten ihre Unterschrift unter dieses Glaubensbekenntnis und wurden, wie Arius, aus der Kirche ausgeschlossen. Der Streit schwelte lange fort, die Langobarden hingen der Lehre des Arius noch im siebten Jahrhundert an. Arius selbst starb allerdings schon elf Jahre nach Nicaea, als ihn mitten auf dem Konstantinsforum in Konstantinopel ein im wahrsten Sinne des Wortes mörderischer Durchfall heimsuchte. Nach Ansicht der Kirche war das Gottes Strafe für den Ketzer.»
    «Ein mörderischer Durchfall? Das klingt eher nach einer Vergiftung.»
    «Ja. Das behaupten die Anhänger des Arius, aber es hat ihnen nichts genützt.»
    «Für einen Geistlichen sagen Sie erstaunliche Dinge, Hochwürden.»
    «Hier kann ich das, im Vatikan müsste ich den Mund halten.»
    Alexander beugte sich weit über den Tisch und bat: «Erzählen Sie mir mehr über den Vatikan und über den neuen Papst!»
    «Wie sollte ich etwas darüber wissen, wo ich hier oben in den Bergen lebe, in völliger Abgeschiedenheit?»
    «Keine Ahnung, wie. Aber ich weiß, dass Sie etwas wissen!»
    Mit einer ruckartigen Bewegung stand der Pater auf. «Bist du gesättigt? Gut, dann lass uns vor die Tür gehen. Ein wenig klare Bergluft kann bei so vielen verwirrenden Gedanken ganz nützlich sein.»

    Sie überquerten die schmale Straße und kamen auf eine Lichtung direkt am Hang. Von hier aus eröffnete sich ein weiter Blick über den See. Der Nebel hatte sich verzogen, die Wolkendecke war aufgerissen. Immer wieder reflektierte der Wasserspiegel einzelne Sonnenstrahlen mit einem irisierenden Blitzen. Castel Gandolfo war jetzt deutlich zu erkennen, aber über der fernen Stadt kauerte weiterhin die düstere Wolke wie eine fette Spinne, die entschlossen ist, nicht von dem einmal ergriffenen Opfer zu lassen.
    «Ist das nicht seltsam?» Borghesi zeigte über den See, und Alexander wusste, dass er das wolkenverhangene Rom meinte.
    «Wir haben längst Mai, aber das Wetter ist schlechter als im marzo pazzo, dem verrückten März. Weißt du, was die Leute hier in den Bergen sagen? Sie halten das ungewöhnliche Wetter für ein Zeichen Gottes – oder auch Satans, da sind sie nicht so genau. Jedenfalls verstehen sie es als böses Omen, zumal es mit einem Wechsel auf dem Heiligen Stuhl einhergeht.»
    «Ein Omen für was?»
    «Für das Ende des Papsttums, das Ende Roms, das Ende der Menschheit.»
    Alexander wandte sich zu dem alten Mann um. Borghesis Gesicht war ausdruckslos, als kümmere ihn das mögliche Ende der Menschheit nicht im Mindesten.
    «Und Sie, Hochwürden, was sagen Sie dazu?»
    «Ich weiß nicht, ob Gott eine schwarze Wolke benötigt, um die Menschen zu erschrecken.» Ein wenig verlegen sah der Pater an seiner Soutane hinab. «Nur eins weiß ich sicher: In Rom und im Vatikan sind Mächte am Werk, denen man besser aus dem Weg geht.»
    «Zum Beispiel, indem man sich in eine verlassene Kirche zurückzieht?»
    «Zum Beispiel.»

    «Wenn die Menschheit untergeht, wird diese alte Kirche Sie nicht schützen, Hochwürden.»
    «Weißt du das so genau, mein Sohn?» Ein nachdenklicher, prüfender Blick traf Alexander. «Schau hinüber nach Castel Gandolfo! Den Palast des Heiligen Vaters hier in den Bergen sieht man deutlich, Rom mit dem Vatikan und der Peterskirche hingegen ist verborgen – vielleicht schon ausgelöscht von der Macht der schwarzen Wolke.»
    «Wir sehen Castel Gandolfo deutlich, weil es viel näher liegt als Rom», wandte Alexander ein.
    «Das war schon immer so, schon damals, als die Gründer Roms, Romulus und Remus, geboren wurden. Die Sage erzählt, sie seien die Söhne des Gottes Mars und der schönen Rhea Silvia, der Tochter des Königs Numitor von Alba Longa. Und das mythische Alba Longa stand da, wo sich heute Castel Gandolfo erhebt. Jener Ort ist die Mutter Roms, wie die Leute hier

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