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Der Engelsturm

Der Engelsturm

Titel: Der Engelsturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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nachdenklich die blinden Augen. Er fühlte sich sehr schwach. Wann hatte er zuletzt gegessen? Was, wenn die Frau ihn aufgab und ihm nichts mehr hinstellte? Es war so schön gewesen, wieder etwas Richtiges zu essen …
    Aber wenn ich das Schwert finde, wenn es mir ganz allein gehört, dachte er gierig, wird mich das alles nicht mehr kümmern.
    Er legte den Kopf schief. Irgendwo vor ihm kratzte etwas, als wäre ein Tier im Fels gefangen. Er hatte das Geräusch früher schon gehört – in letzter Zeit sogar häufiger –, aber es hatte nichts mit dem zu tun, wonach er suchte. Das Kratzen hörte auf, und er stand immer noch in peinvoller Unentschiedenheit vor dem sich gabelnden Tunnel. Selbst wenn er mit Steinen den Weg kennzeichnete, konnte er sich leicht verirren, aber er war überzeugt, dass einer dieser Gänge hinauf ins Herz des Liedes führen musste – ins Herz der summenden, saugenden, seelenertränkenden Melodie des Großen Schwertes. Er wollte nicht die falsche Richtung wählen und dann eine endlose Zeit damit zubringen zurückzufinden. Er war matt vor Hunger, betäubt vor Müdigkeit.
    Er konnte eine Stunde so dagestanden haben oder einen Tag. Endlich kam ein Wind auf, sanft wie ein beginnender Sandsturm, zauste sein Haar, blies die Luft aus dem rechten Tunnel. Gleich darauf quoll ein Strom von … Wesen … aus dem Tunnel und strich an ihm vorbei … Geister, die auf den dunklen Straßen der Unterwelt spukten. Ihre Stimmen hallten in seinem Kopf, schwach und hoffnungslos.
    Der Teich. Wir müssen ihn am Teich suchen. Er wird wissen, was zu tun ist…
    Leid. Sie haben das letzte Leid herabgerufen…
    Als die zwitschernden Wesen vorüberwehten, begann der blinde Guthwulf langsam zu lächeln. Was immer sie waren, Geister der Toten oder öde Trugbilder seines eigenen Wahns – stets kamen sieaus der Tiefe zu ihm, aus den tiefsten, ältesten Teilen des Labyrinths. Sie kamen von unten … und er wollte nach oben.
    Er drehte sich um und schlurfte in den linken Tunnel hinein.

    Dort, wo einst das gewaltige Tor von Naglimund gestanden hatte, waren die Lücken mit Geröll ausgefüllt worden. Aber weil die Stelle trotzdem niedriger war als der Rest der Umfassungsmauer und die aufgehäuften Steintrümmer kletternden Füßen Halt boten, hatte Eolair dort den logischen Ansatzpunkt ihres Angriffs vermutet. Zu seiner Überraschung jedoch versammelten sich die Sithi vor einem glatten, unbeschädigten Abschnitt der Mauer.
    Der Graf ließ Maegwin und seine eingeschüchterten Krieger unter Isorns Befehl zurück und schlich den verschneiten Hang hinauf, um sich Jiriki und Likimeya anzuschließen, die in der Ruine eines verfallenen Hauses warteten, einige Hundert Ellen von der Umfassungsmauer entfernt. Likimeya schenkte ihm nur einen beiläufigen Blick, während Jiriki ihm zunickte.
    »Es ist fast Zeit«, erklärte der Sitha. »Wir haben die M’yon Rashí gerufen – die Zerschlager.«
    Eolair schaute auf die Sithitruppe vor der Mauer. Sie hatten aufgehört zu singen, ihren Platz jedoch nicht verlassen. Er fragte sich, warum sie sich den Pfeilen der Nornen aussetzten, obwohl der Zweck ihres Gesanges erreicht zu sein schien. »Die Zerschlager? Meint Ihr Mauerbrecher?«
    Jiriki lächelte leicht und schüttelte den Kopf. »Wir verstehen von solchen Geräten nichts, Graf Eolair. Vielleicht könnten wir einen Mauerbrecher bauen, aber wir haben uns entschlossen, lieber auf das zurückzugreifen, was wir kennen.« Seine Miene verfinsterte sich. »Oder besser gesagt, auf das, was wir von den Tinukeda’ya gelernt haben.« Er deutete mit der Hand. »Seht, die M’yon Rashí kommen.«
    Eine Vierergruppe von Sithi näherte sich der Mauer. Eolair, der sie nicht kannte, fand, dass sie nicht anders aussahen als die übrigen Friedlichen, die im Schatten von Naglimund lagerten. Alle waren sieschlank und goldhäutig. Wie die meisten ihrer Gefährten schien keiner dem anderen in den Farben der Rüstung oder der Haare, die unter dem Helm wehten, zu gleichen. Die M’yon Rashí leuchteten bunt im Schnee wie verirrte Vögel aus dem Süden. Der einzige Unterschied, den der Graf zwischen ihnen und dem Rest von Jirikis Volk feststellen konnte, war, dass jeder der vier einen dunklen Stab von der Länge eines Wanderstocks in der Hand hatte. Die Stäbe bestanden aus dem gleichen eigentümlich grauschwarzen Material wie Jirikis Schwert Indreju. An ihren Spitzen saßen Kugeln aus blauem Kristallgestein.
    Jiriki wandte sich von dem Hernystiri ab und rief einen

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