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Der Engelsturm

Der Engelsturm

Titel: Der Engelsturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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verrückt geworden war, so hatte der Wahnsinn ihn jetzt erfasst. Die Stufen waren die Zähne eines Mauls, das ihn verschlingen wollte, und so schnell er auch in die Tiefe hastete, sprang, stürzte und dabei den Schmerz nicht fühlte, sich aufraffte und die nächste Stufe hinabeilte, es gab kein Entrinnen. Es kamen immer wieder neue Zähne. Immer neue weiße Zähne …
    Die Stimmen, die so lange geschwiegen hatten, erhoben sich um ihn, als singe der Mönchschor in der Hochhorstkapelle. Simon achtete nicht auf sie. Das Einzige, was ihm übrigblieb, war der Sturz in die Tiefe, Stufe auf Stufe. Etwas in der Luft hatte sich verändert, aber er gönnte sich nicht die Zeit, innezuhalten und darüber nachzudenken.Die Stimmen verfolgten ihn, die Zähne – die nur darauf warteten zuzuschnappen – höhnten.
    Dort, wo eine Stufe hätte sein sollen, erstreckte sich stattdessen eine weiße, weite Fläche aus … woraus? Simon stockte mitten im Sprung und fiel stolpernd nach vorn. Seine Ellenbogen prallten schmerzhaft auf Stein. Einen Moment blieb er liegen, wimmernd vor Schmerz, und umklammerte die Fackel so fest, dass es in seinen Knöcheln pochte. Langsam hob er den Kopf. Die Luft war … die Luft roch … feucht.
    Vor ihm dehnte sich der breite Treppenabsatz und endete in Schwärze. Es gab keine Stufen mehr, oder er konnte sie nicht sehen. Noch immer unter Klagelauten kroch Simon weiter, bis die Schwärze unmittelbar vor ihm lag. Als er sich darüberbeugte, fegte sein Arm ein Häufchen Staub und Kies über den Rand.
    Platsch. Plitsch-platsch. Das Geräusch kleiner Steine, die ins … Wasser … fielen. Die nicht sehr tief fielen.
    Japsend lehnte Simon sich hinaus und reckte seine Fackel ins Dunkel, so weit er nur konnte. Nur wenige Ellen unter sich sah er ihr Spiegelbild, einen schwankenden Fleck aus feurigem Licht. Hoffnung stieg in ihm auf, und das war in gewisser Hinsicht schlimmer als alle vorausgegangenen Schmerzen.
    Es ist eine Illusion, dachte er traurig. Nur eine neue Illusion. Da ist nichts als Staub … Staub … Staub …
    Trotzdem kroch er am Rand des Treppenabsatzes entlang und suchte nach einem Abstieg. Als er eine kleine, kunstreich behauene Treppe fand, rutschte er die Stufen auf Händen und Knien hinunter. Die Treppe endete auf einem kreisrunden Absatz und einem schmalen Steg aus hellem Stein, der in die Schwärze hineinführte. Der Schein der Fackel zeigte nicht, wie lang er war, aber er konnte die Rundung der Ufer des Teiches erkennen, die nach beiden Seiten in den Schatten verschwanden. Der Teich war sehr groß, fast wie ein kleiner See.
    Simon ließ sich auf den Bauch nieder und streckte die Hand aus, hielt inne und witterte. Wenn dieser große Teich voll von perdruinesischem Feuer war und er ihm mit der Fackel zu nahe kam, würde nur ein Klümpchen Asche von ihm übrigbleiben. Aber da war keinÖlgeruch. Er tauchte die Hand ein und fühlte, wie das Wasser sich um sie schloss, kalt und nass, wie es sein sollte. Er sog an seinen Fingern. Ein schwacher Metallgeschmack – aber es war Wasser.
    Wasser!
    Er schöpfte beide Hände voll und führte sie zum Mund. Mehr, als er schluckte, lief ihm über Kinn und Hals. Es prickelte ihm auf der Zunge und floss warm durch seine Adern. Es war köstlich – besser und schmackhafter als alles, was er je getrunken hatte. Es war Wasser. Er lebte.
    Vor lauter Freude war ihm ganz schwindlig. Er trank, bis er vollgesogen war wie ein Schwamm und sein Bauch gegen das Gürtelband der Hose drückte. Das kühle, leicht würzige Wasser war so herrlich nass, dass er einfach nicht aufhören konnte. Er goss es sich über Kopf und Gesicht und spritzte so heftig darin herum, dass er beinah die Fackel ausgelöscht hätte; darüber musste er so lachen, dass die Echos einander in der Dunkelheit jagten. Als er sein Licht auf der Treppe in Sicherheit gebracht hatte, ging er zurück und trank weiter. Er zog das zerschlissene Hemd und die Hosen aus, schrubbte seinen ganzen Körper sauber und ließ das Wasser lustvoll und verschwenderisch an sich herunterrinnen. Schließlich überwältigte ihn die Müdigkeit. Selig vor sich hinsingend, lag er auf dem nassen Stein, bis er einschlief.
     
    Simon erwachte langsam, als schwimme er aus großer Tiefe nach oben. Lange Augenblicke wusste er nicht, wer oder wo er war. Erneut hatte ihn der reißende Strom der Traumbilder erfasst. Sie waren durch seinen schlafenden Kopf gerauscht wie im Sturm dahinwirbelnde Blätter. Die Männer mit den Schwertern hatten

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