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Der Engelsturm

Der Engelsturm

Titel: Der Engelsturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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warten kann.« Er warf einen kurzen Blick zum fernen Hochhorst hinüber. Im Abendlicht war die Burg ein schwarzer Koloss. Hinter den Fenstern flackerten keine Lichter. »Aber vielleicht könnte ich mich mit Qantaqa in der Nähe verstecken und zu bestimmten Zeiten herkommen und nach ihm schauen.« Er spreizte die offenen Hände. »Doch ist es für solches Denken noch zu früh. Ich weiß nicht einmal, welchen Plan du für deinen Eintritt in die Burg gewählt hast.« Er deutete mit den Fingern auf die fast unsichtbare Feste. »Vielleicht besitzt du einen Weg, deinen Vater, den König, zu überzeugen, doch ich fürchte, wenn du am Tor erscheinst, wird man dich nicht zu ihm geleiten. Und ist es Pryrates, der dich empfängt, so könnte er entscheiden, dass es von größerer Günstigkeit für ihn ist, wenn du tot bist und dich nicht mehr einmischen kannst. Du würdest einfach verschwinden.«
    Miriamel zuckte unwillkürlich zusammen. »Ich bin nicht dumm, Binabik, auch wenn mein Onkel und andere Leute es vielleicht annehmen. Ich habe ein paar Ideen.«
    Binabik spreizte erneut die Handflächen. »Ich denke nicht, dassdu in irgendeiner Weise dumm bist, Miriamel, noch kenne ich jemandem, der dieser Meinung ist.«
    »Mag sein.« Sie stand auf und ging durch das feuchte Gras zu ihrem Reisesack. Ein leichter, feiner Nieselregen setzte ein. Nachdem sie in ihren Sachen gewühlt hatte, fand sie das Bündel, das sie gesucht hatte, und kam zurück zu dem kleinen Feuer. »Hier. Ich habe auf dem Sesuad’ra viel Zeit darauf verwendet, es anzufertigen.«
    Der Troll entrollte das Bündel und begann zu lächeln. »Ah.«
    »Ich habe sie auf Leder übertragen«, erklärte Miriamel nicht ohne Stolz, »weil ich wusste, dass sie so haltbarer sein würden. Ich habe die Rollen gesehen, die du und Sis … Sis …«
    »Sisqinanamook«, sagte Binabik und betrachtete stirnrunzelnd die Lederstücke. »Oder Sisqi, das ist leichter für Tiefländerzungen.« Einen Augenblick wurde sein Gesicht ausdruckslos, dann kam wieder Leben in seine Züge, und er blickte zu Miriamel auf. »Du hast die Karten abgezeichnet, die Graf Eolair uns brachte.«
    »Ja. Er sagte, sie bildeten die alten Tunnel der Unterirdischen ab. Simon verließ durch sie den Hochhorst, darum dachte ich, dass man so auch unbemerkt in die Burg hineingelangen könnte.«
    »Es sind nicht alles Tunnel.« Binabik betrachtete die vielfach gewundenen Linien auf dem Leder. »Unter dem Hochhorst liegt die alte Burg der Sithi, und sie war von großer Umfänglichkeit.« Seine Augen wurden schmal. »Wenig leicht zum Lesen sind diese Karten.«
    »Ich war mir nicht sicher, was die verschiedenen Zeichen bedeuteten, darum habe ich alles kopiert, auch die kleinen Bilder und Markierungen am Rand«, antwortete Miriamel. »Ich weiß nur, dass es die richtigen Karten sind, weil ich Vater Strangyeard danach gefragt habe.« Plötzlich bekam sie Angst. »Es sind doch die richtigen?«
    Binabik nickte langsam. Das schwarze Haar fiel ihm ins Gesicht. »O ja. Sie sehen aus wie Karten dieser Gegend – sieh, dort ist das Wasser, das ihr den Kynslagh nennt.« Er zeigte auf einen großen, halbmondförmigen Bogen am Rand der obersten Karte. »Und dieses muss das Swertclif sein, das in diesem Augenblick unter unseren Füßen ruht.«
    Miriamel beugte sich vor und folgte Binabiks kleinem Finger mit gespannter Aufmerksamkeit. Ihr war auf einmal unendlich traurig zumute. »Wenn wir jetzt hier sind, gibt es an der Stelle, wo Simon durchgebrochen ist, keine Tunnel.«
    »Vielleicht.« Binabik klang verunsichert. »Aber Karten und Pläne werden immer zu ganz bestimmten Zeitpunkten gemalt. Ebenso möglich ist es, dass man neue Tunnel gegraben hat, seitdem jene Karte entstand.«
    »Elysia, Mutter der Barmherzigkeit! Ich hoffe, du hast recht.«
    »Wo also ist Simon aus seinen Tunneln emporgetaucht? Ich glaube mich zu erinnern, dass es an der …«
    »Begräbnisstätte war, gleich hinter der Stadtmauer von Erchester«, beendete Miriamel seinen Satz. »Ich sah ihn dort, aber als ich ihn anrief, rannte er fort. Er dachte, ich sei ein Geist.«
    »Ich sehe viele Tunnelgräben, die dort zu münden scheinen. Doch sie wurden ausgehöhlt, lange bevor man Erchester und alles ringsum erbaute. Ich zweifle, dass die Landmarken noch vorhanden sind.« Er hob den Kopf. Qantaqa kehrte von ihrer Jagd zurück, das zottige Fell perlte nass.
    »Ich habe eine ungefähre Vorstellung, wo er herausgekommen ist«, meinte Miriamel. »Auf jeden Fall sollten wir

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