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Der Engelsturm

Der Engelsturm

Titel: Der Engelsturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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hell leuchteten, dass sie das Licht, das unter dem Saum hervorsickerte, nicht bemerkten. Sie biss die Zähne zusammen und fing an, stumm zu beten. Vom Ölgeruch ihrer Lampe wurde ihr jetzt schon übel.
    Die Männer schienen es nicht eilig zu haben. Sie bewegten sich viel zu gemächlich, um eine alte Frau zu übersehen, die sich in ihrem Mantel versteckte, davon war die verängstigte Rachel überzeugt. Sie dachte, wenn sie stehen blieben, würde sie sterben.
    »… sie diese Weißhäute so lieben, sollen sie sie doch arbeiten lassen«, sagte eine Stimme, die man jetzt aus dem Geräusch der Schritte heraushörte. »Alles, was der Priester uns tun lässt, ist Steine und Erde wegschleppen und Botengänge machen. Das ist keine Arbeit für Wachsoldaten.«
    »Hast du darüber zu bestimmen?«, fragte ein zweiter Mann.
    »Nur weil der König dem Rotrock freie Hand lässt, heißt das noch lange nicht, dass wir …«, begann der Erste wieder, wurde aber unterbrochen.
    »Und vermutlich willst du ihm sagen, was er zu tun hat?«, spottete ein Dritter. »Er frisst dich zum Abendessen und schmeißt deine Knochen weg!«
    »Halt den Mund«, fuhr der Erste ihn an, aber ohne viel Selbstvertrauen im Ton. Etwas ruhiger fuhr er fort: »Und trotzdem ist etwas hier unten verdammt faul, verdammt faul. Ich habe eine vondiesen Leichenfratzen gesehen – stand im Dunkel und wartete auf ihn …«
    Das Scharren der Stiefel auf dem Stein wurde leiser. Bald darauf war der Gang wieder still.
    Rachel schnappte nach Luft, riss ihren Mantel hoch und taumelte aus der Nische. Die Dünste der Lampe waren ihr zu Kopf gestiegen, und die Wände kamen ihr entgegen. Sie streckte die Hand aus, um nicht zu fallen.
    Gesegnete heilige Rhiap, hauchte sie lautlos, ich danke dir, dass du deine demütige Dienerin vor den Ungerechten beschirmt hast Ich danke dir, dass du ihre Augen blind gemacht hast.
    Noch mehr Soldaten! Neuerdings wimmelte es in den Tunneln unter der Burg von ihnen. Sie schwärmten durch die Gänge wie Ameisen. Diese Gruppe war schon die dritte, die sie gesehen oder, in diesem Fall, gehört hatte, und Rachel zweifelte nicht daran, dass sie viele andere nicht einmal bemerkt hatte. Was konnten sie nur hier unten wollen? Sie wusste, dass dieser Teil der Burg seit Jahren nicht mehr untersucht worden war. Das war es ja, was sie überhaupt dazu ermutigt hatte, ihre Suche hier aufzunehmen. Jetzt musste etwas die Aufmerksamkeit der königlichen Soldaten erregt haben. Pryrates ließ sie anscheinend nach etwas suchen – aber wonach? Konnte es Guthwulf sein?
    Rachel war ängstlich und zornig zugleich. Dieser arme, alte Mann! Hatte er nicht schon genug gelitten – das Augenlicht verloren, aus der Burg vertrieben? Was wollten sie denn noch von ihm? Natürlich war er vor seiner Flucht der Vertraute des Hochkönigs gewesen, vielleicht kannte er Geheimnisse, die der König um jeden Preis bewahren wollte. Auf alle Fälle musste es etwas sehr Wichtiges sein, damit so viele Soldaten in dieser öden Unterwelt danach suchten.
    Es konnte nur um Guthwulf gehen. Wen sonst konnte man hier unten vermuten? Gewiss nicht sie selbst. Rachel wusste, dass sie im Spiel der Mächtigen ohne Bedeutung war. Aber Guthwulf – schließlich hatte er sich Pryrates zum Feind gemacht. Der arme Guthwulf. Sie hatte gut daran getan, nach ihm zu suchen. Er befand sich in furchtbarer Gefahr. Aber wie konnte sie ihre Nachforschungen fortsetzen, wenn die Männer des Königs hier herumliefen – und nichtnur die Männer des Königs, sondern Wesen, die weit schlimmer waren, wenn die Wachen die Wahrheit gesagt hatten? Sie konnte sich glücklich preisen, wenn sie selbst unentdeckt in ihren Schlupfwinkel zurückfand.
    So ist es. Diesmal hätten sie dich fast erwischt, Alte. Es ist die reine Anmaßung zu erwarten, dass die Heilige dich noch einmal rettet, wenn du dich weiterhin so unvernünftig aufführst. Erinnere dich an das, was Vater Dreosan immer gesagt hat: »Gott kann alles, aber er schützt die Hochmütigen nicht vor dem Unheil, das sie selbst heraufbeschwören.«
    Sie blieb im Gang stehen und wartete, bis ihr Atem wieder ruhiger ging. Außer ihrem eigenen, heftig klopfenden Herzschlag war nichts zu hören.
    »Richtig«, sagte sie zu sich selbst. »Nach Hause. Ich muss nachdenken.« Sie packte ihren Beutel und setzte sich in Marsch.
     
    Das Treppensteigen fiel ihr schwer. Mehrmals musste sie stehen bleiben und sich ausruhen. Sie lehnte sich an die Wand und dachte wütend über ihre zunehmende

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