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Der Engelsturm

Der Engelsturm

Titel: Der Engelsturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Großes bevorsteht. Er sehnt sich nach Ruhe, aber noch ist sie ihm nicht beschieden. Der Herzog glaubte endlich zu verstehen. Kein Wunder, dass er uns so fremd, so fern ist. Er will nicht leben. Er ist nur hier, weil er glaubt, Gott will, dass er zuerst eine Aufgabe erfüllt, die noch vor ihm liegt. Offensichtlich war jedes Infragestellen des göttlichen Willens, selbst der Unfehlbarkeit des Lektors, schwierig für Camaris. Er hält sich für einen toten Mann . Isgrimnur unterdrückte ein Schaudern. Sich nach Ruhe und Erlösung zu sehnen war eine Sache, sich bereits als Toter zu fühlen eine andere. Der Herzog fragte sich flüchtig, ob Camaris vielleicht auch den Sturmkönig besser verstand als alle anderen.
    »Nun gut«, erklärte Josua gerade. »Es gibt noch einen Mann, den wir empfangen müssen. Wenn es Euch genehm ist, Camaris, möchte ich gern selbst mit ihm sprechen. Ich habe schon eine ganze Weile darüber nachgedacht.«
    Der alte Ritter stimmte mit achtloser Gebärde zu. Seine Augen unter den dichten Brauen waren wie Eissplitter.
    Josua gab einem Pagen ein Zeichen, und wieder rauschten die Türflügel auf. Während man Graf Streáwes Sänfte hereintrug, lehnte sich Isgrimnur zurück und griff nach dem Bierhumpen, dener hinter seinem Sessel versteckt hatte. Er nahm einen tiefen Zug. Draußen war es Nachmittag, aber die deckenhohen Fenster des Saals waren mit Läden gegen den Sturm gesichert, der das Meer unter dem Palast aufpeitschte. In den Wandleuchtern brannten Fackeln. Isgrimnur wusste, dass der Raum in den zarten Farben von See, Sand und Himmel ausgemalt war, aber im Fackelschein sah alles graubraun und verschwommen aus.
    Streáwe wurde aus der Sänfte gehoben und sein Sessel am Fuß des Throns niedergesetzt. Der Graf lächelte und verneigte sich. »Herzog Camaris! Willkommen in Eurem rechtmäßig angestammten Heim. Man hat Euch vermisst, Herr.« Er drehte den weißen Kopf. »Und Prinz Josua und Herzog Isgrimnur. Eure Einladung ehrt mich. Eine edle Gesellschaft, fürwahr.«
    »Ich bin kein Herzog, Graf Streáwe«, erwiderte Camaris. »Ich habe keinen Titel angenommen, sondern nur den Tod meines Bruders gerächt.«
    Josua trat vor. »Missdeutet seine Bescheidenheit nicht, Graf. Er ist es, der hier regiert.«
    Streáwes Lächeln wurde noch breiter, die Fältchen um seine Augen vertieften sich. Isgrimnur fand, er sehe aus wie der großväterlichste Großvater, den Gott je erschuf, und er fragte sich, ob der Graf wohl vor einem Spiegel übte. »Ich bin froh, dass Ihr meinen Rat befolgt habt, Prinz Josua. Wie Ihr seht, waren wirklich viele Leute unglücklich unter Benigaris’ Herrschaft. Jetzt herrscht Jubel in Nabban. Als ich von den Docks heraufkam, tanzte das Volk auf den Straßen und Plätzen.«
    Josua zuckte die Achseln. »Das wird am Sold liegen, den Baron Seriddan und die anderen ihren Truppen ausgezahlt haben. Nabban hat nicht besonders unter Benigaris gelitten, trotz der schweren Zeiten. Vatermörder oder nicht, er scheint nicht schlecht regiert zu haben.«
    Der Graf musterte ihn einen Augenblick und schien zu dem Schluss zu kommen, dass er es auf andere Weise versuchen müsste. Isgrimnur sah zu und amüsierte sich. »Nein«, sagte Streáwe langsam, »damit habt Ihr recht. Aber das Volk weiß Bescheid, meint Ihr nicht? Es gab ein Gefühl, dass nicht alles so war, wie es sein sollte,und viele Gerüchte, dass Benigaris seinen Vater – Euren lieben Bruder, Herr Camaris – getötet hatte, um selbst den Thron zu besteigen. Sicher war Benigaris nicht an allem schuld, aber es gab große Unruhen.«
    »Unruhen, die Ihr und Pryrates alle beide noch angeheizt habt, um dann kräftig Öl ins Feuer zu gießen.«
    Der Herrscher von Perdruin starrte ihn mit aufrichtigem Entsetzen an. »Ihr nennt mich in einem Atemzug mit Pryrates?«
    Für einen kurzen Augenblick fiel seine höfische Maske von ihm ab, und der zornige Mann mit dem eisernen Willen, der sich darunter verbarg, wurde sichtbar. »Mit diesem Abschaum im roten Mantel? Wenn ich gehen könnte, Josua, würden wir dafür die Klingen kreuzen.«
    Der Prinz betrachtete ihn mit kalten Augen. Dann wurde seine Miene milder. »Ich sage nicht, dass Ihr und Pryrates zusammengearbeitet habt, Streáwe, aber Ihr habt beide die Situation für Eure eigenen Zwecke genutzt. Sehr unterschiedliche Zwecke, davon bin ich überzeugt.«
    »Wenn es das ist, was Ihr gemeint habt, bekenne ich mich schuldig und unterwerfe mich der Gnade des Throns.« Der Graf schien besänftigt. »Ja,

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