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Der Engelsturm

Der Engelsturm

Titel: Der Engelsturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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und zu sah er sogar den Aufseher selbst, der schweigend beobachtete, wie Simon auf dem Rad kreiste. Seltsamerweise schien Inch sich nicht gierig an dem Anblick zu weiden. Vielmehr inspizierte er SimonsElend nüchtern und ging weiter wie ein Hausbesitzer, der, unterwegs zu ganz anderen Dingen, einen Augenblick stehen bleibt, um die Fortschritte seines Gemüsegartens zu prüfen.
    Der Schmerz in Simons Bauch und Gliedern war so stetig, dass er sich nicht mehr erinnern konnte, wie es ohne ihn gewesen war. Er rollte durch ihn hindurch, als wäre Simons Körper nur ein Sack zu seiner Aufbewahrung – ein Sack, den unbekümmerte Knechte von Hand zu Hand warfen. Bei jeder Umdrehung des Rades flutete der Schmerz in Simons Kopf, bis der Schädel zu bersten schien, und drängte sich dann durch die leeren, brennenden Eingeweide nach unten in die Füße, bis es Simon vorkam, als stünde er auf glühenden Kohlen.
    Auch der Hunger wollte ihn nicht verlassen. Er war ein milderer Gefährte als die Qualen seiner Glieder, aber doch ein dumpfer, unaufhörlicher Schmerz. Simon konnte fühlen, wie er mit jeder Umdrehung weniger wurde – weniger menschlich, weniger lebendig, weniger dazu bereit, sich an das zu klammern, was ihn zu Simon machte. Nur eine kleine Flamme der Rachsucht und ein noch winzigerer Funke von Hoffnung, dass er eines Tages doch wieder zu seinen Freunden zurückkehren dürfte, ließen ihn am spärlichen Rest seines Lebens festhalten.
    Ich bin Simon, hämmerte er sich ein, bis er kaum noch wusste, was das eigentlich bedeutete. Das lasse ich mir nicht wegnehmen. Ich bin Simon.
    Das Rad drehte sich, Simon mit ihm.
     
    Guthwulf kam nicht wieder, um mit ihm zu sprechen. Einmal, in einem Nebel von Unglück, fühlte Simon, wie jemand, der ihm Wasser gab, sein Gesicht berührte, aber er brachte vor Schwäche kein Wort über die Lippen. Wenn es der Blinde war, blieb er nicht bei ihm.
    Im gleichen Maß, wie er selbst das Gefühl hatte, auf ein Nichts zusammenzuschrumpfen, schien ihm die Schmiedehalle immer größer zu werden. Wie in der Vision, die ihm der glühende Fleck gezeigt hatte, öffnete sie sich in die ganze Welt, oder vielmehr hatte es den Anschein, als sei die Welt eingestürzt und in die Schmiedegefallen, sodass es Simon häufig vorkam, als befinde er sich gleichzeitig an vielen verschiedenen Orten.
    Er war gefangen auf den kahlen, schneekalten Höhen, verbrannt vom Drachenblut. Die Narbe in seinem Gesicht war sengende Qual. Etwas hatte ihn dort berührt und verändert. Er würde nie mehr derselbe sein.
    Unter der Schmiede, aber auch in Simons Innerem, regte sich Asu’a. Der bröckelnde Stein bebte und blühte wieder neu, schimmernd wie die Mauern des Himmels. Wispernde Schatten wurden zu goldäugigen, lachenden Geistern, Geister zu Sithi, heiß vom Leben. Musik von der zarten Schönheit betauter Spinnennetze wob durch die auferstandenen Hallen.
    Am Firmament über dem Engelsturm stieg ein breiter roter Streifen empor. Um ihn herum dehnte sich der Himmel, aber die anderen Sterne schienen nur bange Zeugen.
    Und vom Norden herunter zog ein gewaltiger Sturm, wirbelnde Schwärze, die Wind und Blitze spie und alles unter sich zu Eis erstarren ließ, im Kielwasser nur totes, stummes Weiß.
    Wie ein vom Mahlstrom Erfasster fühlte Simon sich im Mittelpunkt mächtiger Strömungen, ohne die Kraft, sie zu ändern. Er war ein Gefangener des Rades. Die Welt drehte sich auf einen ungeheuren und verhängnisvollen Punkt zu, und Simon konnte nicht einmal die Hand an sein brennendes Gesicht heben.
     
    »Simon.«
    Der Nebel war so dick, dass er nichts sehen konnte. Graue Leere umgab ihn. Wer rief ihn? Sahen sie denn nicht, dass er schlafen musste? Aber wenn er wartete, würde die Stimme weggehen. Jeder ging weg, wenn man nur lange genug wartete.
    »Simon.«
    Die Stimme war hartnäckig.
    Simon wollte keine Stimmen mehr hören. Er wollte nur wieder schlafen, traumlos, endlos schlafen.
    »Simon. Schau mich an.«
    Im Grau bewegte sich etwas. Es kümmerte ihn nicht. Warum konnte die Stimme ihn nicht in Frieden lassen? »Geh weg.«
    »Schau mich an, Simon. Du musst mir entgegenkommen.«
    Er versuchte die störende Erscheinung zu verdrängen, aber die Stimme hatte irgendetwas in ihm aufgeweckt. Er schaute in die Leere.
    »Kannst du mich sehen?«
    »Nein. Ich will schlafen.«
    »Noch nicht, Simon. Es gibt noch Dinge, die du tun musst. Irgendwann wirst du dich ausruhen können, aber nicht heute. Bitte, Simon, sieh hin!«
    Das, was sich

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