Der Engelsturm
Großen Schwerter sein, die Inelukis Pläne zum Scheitern bringen, nicht aber Menschen oder Unsterbliche, die vor den Toren der Burg aufeinander einschlagen. Bisher haben alle Eure Pläne auf dieser weisen Einsicht beruht.«
»Und weil Dorn Camaris gehört, kann nur er allein es in die Burg tragen? Und nicht durch das Tor oder über die Mauer, an der Spitze des Heeres, sondern auf dunklen Pfaden, heimlich wie ein Dieb?«
»Dorn gehört nicht mir.« Camaris musste sich offenbar anstrengen, um langsam und vernünftig zu sprechen. »Eher scheint es umgekehrt zu sein. Bei Ädons Barmherzigkeit, Josua, lasst mich gehen. Ich glaube nicht, dass ich noch lange warten kann, bevor diese Klinge mich in den Wahnsinn treibt.«
Josua sah den alten Ritter lange an. Etwas Unausgesprochenes ging zwischen ihnen vor, obwohl keiner von beiden ein Wort sprach. »Vielleicht habt Ihr ja alle recht«, gab der Prinz endlich zu. »Aber es wird uns schwer ankommen, ohne Camaris zu sein …« Er stockte. »Ich meine, in der bevorstehenden Schlacht ohne ihn zu sein. Es ist hart für die Männer. Sie fühlen sich unbesiegbar, wenn sie ihm folgen.«
»Vielleicht sollten sie nicht erfahren, dass er fort ist«, schlug Aditu vor.
Josua fuhr erstaunt herum. »Wie das? Wie sollten wir das verbergen?«
»Ich denke, dass meine Schwester klug gesprochen hat«, erwiderte Jiriki. »Wenn wir hoffen, ihn unbemerkt in die Burg Eures Bruders zu bringen – und er wird nicht allein sein, Josua; es werden ihn Zida’ya begleiten, die sich dort auskennen –, müssen wir sotun, als sei Camaris noch hier, auch wenn die Belagerung begonnen hat.«
»Die Belagerung? Aber wenn die Schwerter unsere einzige Hoffnung sind und wir Elias nur besiegen können, indem wir eine kleine Truppe auf Euren geheimen Pfaden in die Burg schicken, warum sollen wir dann noch das Leben so vieler anderer vergeuden?«, fragte der Prinz zornig. »Meint Ihr, wir sollten Männer in einer blutigen Belagerung opfern, von der wir jetzt bereits wissen, dass sie zu spät kommt, um noch erfolgreich zu sein?«
Likimeya beugte sich vor. »Ja, wir müssen Opfer bringen.« Isgrimnur bemerkte ein beinahe schmerzliches Flackern in ihren Bernsteinaugen, nahm aber an, dass er sich geirrt hatte. Er konnte nicht glauben, dass ein so strenges, fremdartiges Geschöpf anders als unter den Vorzeichen kühler Notwendigkeit an das Kommende dachte. »Sonst zeigen wir unseren Feinden, dass wir auf eine andere Lösung hoffen – wir teilen ihnen mit, dass wir das Gelingen eines anderen Plans abwarten.«
»Aber warum?« Isgrimnur sah, dass Josua echte Qualen litt. »Jeder vernünftige Heerführer weiß, dass es klüger ist, einen Feind auszuhungern, als die eigenen Männer gegen tödliche Steinmauern anrennen zu lassen.«
»Euer Lager liegt neben dem der Zida’ya. Die, die uns jetzt von diesen Steinmauern aus beobachten, sind Inelukis Bundesgenossen. Einige gehören vielleicht sogar zu unseren Verwandten, den Hikeda’ya. Sie werden wissen, dass die Kinder der Morgendämmerung den roten Stern am Himmel sehen. Der Erobererstern, wie Ihr ihn nennt, verkündet uns, dass uns höchstens noch ein paar Tage bleiben und dass das, was Euer sterblicher Zauberer dort in der Burg auf Inelukis Geheiß tun will, bald geschehen muss. Wenn wir so tun, als wüssten wir das nicht, wird das niemanden täuschen. Wir müssen sofort mit der Belagerung beginnen, und Euer und unser Volk müssen kämpfen, als hätten wir nur diese einzige Hoffnung. Und wer weiß? Vielleicht haben wir wirklich keine andere. Nicht alle Geschichten haben ein glückliches Ende, Prinz Josua. Wir Gartengeborenen wissen das nur zu gut.«
Wie hilfesuchend blickte Josua auf Isgrimnur. »Das heißt, wirsenden unseren besten Krieger, der zugleich unser größter Ansporn ist, hinab in die Tiefen der Erde. Und wir opfern das Leben unserer Männer in einer Belagerung, von der wir wissen, dass sie erfolglos bleiben muss. Herzog Isgrimnur, bin ich verrückt geworden? Bleibt uns wirklich kein anderer Weg?«
Der Rimmersmann zuckte hilflos die Achseln. Er litt selbst darunter, Josuas aufrichtige Seelenqual mitansehen zu müssen. »Was das Sithivolk sagt, leuchtet ein. Es tut mir leid, Josua. Auch mich kommt es bitter an.«
Der Prinz hob schicksalsergeben die Hand. »Dann will ich tun, was Ihr sagt. Seit mein Bruder den Thron bestieg, hat das Grauen kein Ende genommen. Mir scheint, dass Gott uns, wie mir einmal einer meiner Lehrer gesagt hat, mit einem Hammer aus
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