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Der Engelsturm

Der Engelsturm

Titel: Der Engelsturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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in qualvoller Trauer an.
    »Meine Schuld …«, wisperte er mit klappernden Zähnen.
    Pryrates hatte zugeschaut, wie Simon hereinschwankte. Jetzt nickte er und lächelte schmal. »Ich wusste, dass du irgendwo im Turm stecktest, Küchenjunge – du und das letzte Schwert.«
    Simon fühlte sich näher zu der Stelle gezogen, wo Dorn und Leid einander begegneten. Durch Hellnagel, dessen Lied ihn durchströmte, fühlte er auch die Musik der beiden anderen Schwerter. Der tanzende Puls des Lebens, der in ihnen allen schlug, wurde stärker,als der Augenblick ihrer Vereinigung nahte. Simon empfand ihn wie die reißende Strömung eines Flusses vor einer Engstelle, aber er spürte auch etwas wie eine Wand, die die Klingen voneinander fernhielt. Obwohl zwei von ihnen sich bereits berührten und zwischen ihnen und der dritten nur wenige Ellen lagen, war der Abstand zwischen ihnen nicht geringer geworden.
    Was sich jedoch geändert hatte, Simon spürte es tief und wortlos in seinem Innersten, war, dass eine ungeheure Umschichtung bevorstand. Irgendein riesiges Weltenrad hing lose auf seiner Achse und wollte sich drehen; und sowie es sich in Bewegung setzte, würden alle Wände fallen, alle Mauern verschwinden. Die Schwerter warteten und sangen.
    Bevor er selbst es merkte, war er vorgetreten. Hellnagel klirrte gegen die beiden anderen Klingen. Der Schock der Berührung erfasste nicht nur Simon, sondern den ganzen Raum. Die schwarze Leere an der Stelle, wo die Schwerter sich kreuzten, vertiefte sich, ein Abgrund, in den die ganze Welt fallen, in dem sie vergehen konnte. Ringsum verwandelte sich das Licht; die Glut des Sterns, die durch die Fenster sickerte, verdüsterte sich und färbte das Zimmer blutrot. Die furchtbare Glocke läutete ein fünftes Mal.
    Simon zitterte und schrie auf, als der Turm schwankte und die Kraft der Schwerter, noch immer gebändigt, aber immer heftiger nach Befreiung strebend, ihn durchzuckte. Sein Herz stotterte, zögerte, stockte beinah. Seine Sicht verschwamm und wurde dunkel, kehrte aber allmählich zurück. Etwas, das wie Feuer brannte und ihn anzog wie ein Magnet, hielt ihn unentrinnbar gefangen. Verzweifelt suchte er sich loszureißen, aber die Anstrengung führte nur dazu, dass er an Hellnagels Griff zappelte wie ein Fisch, der am Haken verendet. Der Nachhall der Glocke verklang.
    Selbst durch die Musik der Schwerter fühlte Simon, wie die kalte Macht, die er schon auf der Treppe gespürt hatte, sich verdichtete, riesig und schwer wie ein Berg, kalt wie die Löcher zwischen den Sternen. Sie war jetzt näher, verharrte aber immer noch hinter jener unbegreiflichen Wand.
    Elias, den die jubelnde Kraft der Schwerter kaum zu berühren schien, musterte Simon mit irren grünen Augen. »Diesen hier kenneich nicht, Pryrates«, murmelte er, »obwohl mir etwas an ihm vertraut vorkommt. Aber gleichviel. Alle Absprachen sind eingehalten worden.«
    »Allerdings.« Der Priester ging so dicht an ihm vorbei, dass sein Gewand Simons Ärmel streifte. Etwas von Simons begrabenem Ich schrie vor Ekel und Wut, aber kein Laut kam über seine zuckenden Lippen. Er war jetzt kaum mehr als ein Halter für Hellnagel. Den hochfliegenden Geist des endlich mit seinen Brüdern verbundenen Schwertes fochten Menschenzwist und Menschenhass nicht an, und er wartete nur darauf, was als Nächstes geschehen würde, gierig wie ein Hund, der auf sein Futter wartet.
    »Alle Absprachen sind eingehalten worden«, wiederholte Pryrates schnarrend und stellte sich neben den König, »und alles nimmt seinen Lauf. Bald wird Utuk’ku, die Älteste, den Teich der Drei Tiefen in ihre Gewalt gebracht haben. Dann steht das Fünfte Haus, und die große Verwandlung beginnt.« Er sah auf Simon, und seine Augen glitzerten. »Der, den Ihr nicht kennt, ist Morgenes’ Küchenwelpe, Majestät«, sagte er grinsend. »Wirklich erfreulich. Ich habe gesehen, was du mit Inch gemacht hast, Junge. Sehr gründliche Arbeit. Du hast mir viel Last und Mühe erspart.«
    Simon fühlte, wie ein gewaltiger Zorn in ihm aufstieg. Im roten Licht schien das selbstgefällige Gesicht des Priesters körperlos im Raum zu hängen, und Simon sah nichts anderes mehr. Er kämpfte gegen die Lähmung seiner Glieder, wollte Hellnagel von seinen Schwestern wegreißen und sich auf den Mörder stürzen, aber er war hilflos. Die Flamme seiner Wut fand keinen Ausgang und loderte so heiß, als wollte sie sein Inneres zu Asche verbrennen.
    Wieder erbebte der Turm im Donnerhall der Glocke. Unter

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