Der Engelsturm
ein buntes Band hinter sich herzog, das die beiden anderen lachend und kreischend zu erhaschen versuchten.
»Ich muss nun auch bald gehen«, sagte Binabik schließlich. »Mein Volk in Yiqanuc wartet und fragt sich ohne Zweifel, was hier vorgefallen ist. Und noch viel wichtiger als alles ist, dass Sisqinanamook wartet. Wie du und deine Miriamel haben wir eine Geschichte von großer Länge. Es ist Zeit, dass wir vor dem Hirten und der Jägerin und allen Trollen des Mintahoq getraut werden.« Er lachte. »Trotz allem glaube ich, dass ihre Eltern eine kleine Traurigkeit spüren werden, wenn sie bemerken, dass ich noch am Leben bin.«
»Bald? Du willst bald fort?«
Der Troll nickte. »Ich muss. Aber wie schon Jiriki gesagt hat, werden wir noch viele Begegnungen haben, du und ich.«
Qantaqa musterte die beiden, trottete dann voran und witterte am Boden. Simon blickte starr geradeaus und musterte das Feuer, als hätte er im Leben nichts Derartiges gesehen. »Ich will dich nicht verlieren, Binabik. Du bist der beste Freund, den ich habe.«
Der Troll griff nach oben und nahm seine Hand. »Umso mehr Grund, nicht lange getrennt zu bleiben. Du wirst nach Yiqanuc reisen, wenn du kannst – gewiss besteht Bedarf für die erste Utku-Gesandtschaft, die je die Trolle aufsuchte! –, und Sisqi und ich werden kommen und dich besuchen.« Er nickte feierlich. »Auch du bist mein bester Freund, Simon. Immer werden wir einander im Herzen tragen.«
Hand in Hand wanderten sie auf das Feuer zu.
Rachel der Drache irrte durch Erchester, mit struppigen Haaren, die Kleider zerfetzt und schmutzig. Überall liefen lachende Menschen durch die Straßen, sangen, jubelten, scherzten – ganz, als ob die Stadt kein Trümmerhaufen wäre. Rachel konnte es nicht verstehen.
Auch als die entsetzlichen Beben und Erschütterungen aufgehört hatten, hatte sie sich noch tagelang in ihrem unterirdischen Schlupfwinkel versteckt. Sie war überzeugt gewesen, über ihr sei die Welt untergegangen, sodass sie nicht die geringste Neigung fühlte, ihre gut verproviantierte Zelle zu verlassen, um zu sehen, wie Dämonen und Hexengeister in den Ruinen ihres geliebten Hochhorsts Feste feierten. Endlich aber hatten Neugier und eine gewisse Entschlossenheit die Oberhand gewonnen. Rachel gehörte zu den Frauen, die sich nicht einmal mit dem Ende der Welt abfinden, ohne Widerstand zu leisten. Sollten sie sie doch auf ihre teuflische Folter spannen. Hatte die gesegnete Rhiap nicht auch eine Menge durchgemacht? Und wer war sie, Rachel, vor dem Beispiel der Heiligen zu zaudern?
Ihr erster blinzelnder, maulwurfsähnlicher Blick in die Burg schien ihre schlimmsten Befürchtungen zu bestätigen. Als sie durch die eingestürzten Gänge und Mauern ihrer einstigen Heimat, ihres größten Stolzes, schritt, wollte ihr schier das Herz brechen. Sie verfluchte die Menschen oder Unholde, die das angerichtet hatten, in Ausdrücken, vor denen Vater Dreosan erbleichend geflohen wäre. Heiliger Zorn durchflutete sie wie eine feurige Woge.
Doch als sie schließlich in den fast ausgestorbenen Inneren Zwinger getreten war, folgte eine Überraschung nach der anderen. Der Engelsturm lag in Trümmern, und überall sah man die Zerstörungen und Brandspuren der kürzlichen Schlacht. Aber die wenigen Leute, denen sie auf ihrem Weg durch die Verwüstung begegnete, behaupteten, Elias sei tot, und alles würde wieder in Ordnung kommen.
Diese Leute und viele andere, denen sie auf ihrem Weg hinunter nach Erchester begegnete, führten zwei Namen ständig im Mund – den von Miriamel, der Tochter des Königs, und den eines Mannesnamens Schneelocke – ein großer Held der Schlachten im Osten, ein Drachentöter und Krieger. Diese beiden, so hieß es, hatten den Hochkönig vom Thron gestoßen und würden nun bald heiraten. Dann würde alles wieder in Ordnung kommen. Damit endete jedes Gespräch: alles würde wieder in Ordnung kommen.
Rachel hatte nur geschnaubt. Nur wer nie die Verantwortung getragen hatte, konnte glauben, dass diese Aufgabe nicht Jahre erfordern würde. Aber auch sie konnte Neugier und ein schwaches Aufflackern von Hoffnung nicht unterdrücken. Vielleicht kamen ja wirklich bessere Tage? Die Leute hatten ihr erzählt, auch Pryrates sei umgekommen, irgendwie oben im großen Turm verbrannt. Also hatte es doch eine gewisse Gerechtigkeit gegeben.
Vielleicht, dachte sie, könnte man nun auch Guthwulf retten und aus seiner Dunkelheit holen. Er verdiente ein besseres Schicksal, als auf ewig
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