Der Engelsturm
davon.
»Tiamak!«, rief der Prinz. »Bitte setzt Euch zu uns.« Er deutete auf einen freien Hocker.
Als der Wranna Platz genommen hatte, blickte Josua sich in der Runde um. »Es fällt mir sehr schwer«, begann er endlich. »Ich muss etwas Schreckliches tun und bitte schon jetzt dafür um Verzeihung, denn ich habe keine andere Entschuldigung als die bittere Notlage, in der wir uns befinden.« Er sah Camaris an. »Bitte, mein Freund, vergebt mir. Wenn ich einen anderen Ausweg sähe, würde ich nicht so handeln. Aditu meint, dass wir erfahren sollten, ob Ihr in Jao é-Tinukai’i, der Stadt der Sithi, gewesen seid, und falls ja, warum.«
Camaris hob die müden Augen. »Darf denn ein Mann keine Geheimnisse haben?«, fragte er schwer. »Ich verspreche Euch, Prinz Josua, dass die Antwort auf Eure Frage nichts mit unserem Krieg gegen den Sturmkönig zu tun hat – bei meiner Ritterehre.«
»Aber jemand, der nicht die ganze Geschichte unseres Volkes kennt – zu dem auch Ineluki einst gehörte –, weiß vielleicht auch nicht von allen Beziehungen des Blutes, allen Sagen.« Aditu sprach ohne Josuas Hemmungen, klar und eindringlich. »Jeder hier kennt Euch als Ehrenmann, Camaris. Aber vielleicht wisst Ihr selbst nicht, ob Ihr etwas gesehen oder gehört habt, das uns nützen kann.«
»Wollt Ihr es nicht wenigstens mir erzählen, Camaris?«, bat Josua. »Ihr wisst, dass ich Eure Ehre so hoch halte wie meine eigene. Natürlich sollt Ihr Eure Geheimnisse nicht vor einem ganzen Zelt preisgeben, auch wenn alle hier Eure Freunde und Verbündeten sind.«
Camaris sah ihm lange ins Gesicht, und sein Blick schien milder zu werden. Man merkte, wie er mit einer plötzlichen Regung kämpfte. Aber nach einer Weile schüttelte er energisch den Kopf. »Nein. Ich bitte Euch tausendmal um Vergebung, Prinz Josua, aber zu meiner Schande kann ich Euch nicht helfen. Es gibt ein paar Dinge, zu denen selbst die Regeln der Ritterschaft mich nicht zwingen können.« Isgrimnur, dem Camaris’ Pein sichtliches Unbehagen verursachte, rang die großen Hände. Seit ihrem Aufbruch aus Kwanitupul hatte Tiamak den Rimmersmann nicht mehr so unglücklich gesehen.
»Und ich, Camaris?«, fragte der Herzog. »Ich kenne Euch weit länger als jeder andere hier. Wir haben beide dem alten König gedient. Wenn es sich um etwas handelt, das mit Johan Presbyter zu tun hat, könnt Ihr es mir anvertrauen.«
Camaris reckte sich, aber es war nur ein schwaches Aufbäumen gegen etwas, das ihn innerlich zu Boden zwang. »Es geht nicht, Isgrimnur. Es würde unsere Freundschaft zu sehr belasten. Bittet mich nicht darum.«
Tiamak spürte die Spannung, die über dem Zelt lag. Es war, als sei der alte Ritter von ihnen in die Ecke getrieben worden, ohne dass sie selbst es bemerkten.
»Könnt ihr ihn nicht in Frieden lassen?«, fragte Vara mit rauher Stimme. Sie hatte die Hände über den runden Bauch gelegt, als wollte sie ihr Kind vor so viel Kummer und Leid schützen.
Warum bin ich eigentlich hier, überlegte Tiamak. Weil ich sein Reisegefährte war, als er ohne Verstand lebte? Weil ich ein Träger der Schriftrollebin? Geloë ist tot und Binabik fort – der Bund ist zurzeit ein recht elendes Häuflein. Und wo bleibt Strangyeard?
Plötzlich fiel ihm etwas ein. »Prinz Josua?«
Der Prinz sah auf. »Ja, Tiamak?«
»Vergebt mir … ich bin hier nicht zu Hause und kenne mich nicht in allen Euren Bräuchen aus«, er zögerte, »aber Ihr Ädoniter habt doch eine Sitte, die Ihr Beichte nennt?«
Josua nickte. »Ja.«
Du-der-stets-auf-Sand-tritt, betete Tiamak stumm, mach, dass ich jetzt den richtigen Weg gehe!
Er sah Camaris an, und der alte Ritter, so würdig er sich auch hielt, erwiderte den Blick aus den Augen eines gehetzten Tiers. »Herr Camaris – könntet Ihr Eure Geschichte nicht einem Priester anvertrauen? Vielleicht Vater Strangyeard, wenn er die richtige Art heiliger Mann ist? Dann bliebe, wenn ich mich nicht irre, alles, was Ihr sagt, zwischen Euch und Gott. Aber zugleich weiß Strangyeard so viel über die Großen Schwerter und unseren Kampf wie kaum ein anderer. Er könnte uns dann wenigstens mitteilen, ob wir unsere Antworten an anderer Stelle suchen sollen.«
Josua schlug sich mit der Hand auf das Knie. »Ihr seid in der Tat ein Schriftrollenträger, Tiamak, und ein feiner Kopf.«
Tiamak speicherte Josuas Lob, um sich später daran zu weiden, und ließ die Augen nicht von dem alten Ritter.
Camaris blickte starr geradeaus. »Ich weiß nicht«, sagte er
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