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Der Engelsturm

Der Engelsturm

Titel: Der Engelsturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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können keine Belagerung durchführen, dazu sind wir zu wenige. Die Nornen, wie Ihr sie nennt, zählen zwar noch weniger Köpfe, aber sie sitzen hinter einem dicken, steinernen Panzer, und wir verfügen nicht über die Werkzeuge, die Ihr Sterblichen für diese Art des Krieges besitzt, noch haben wir genug Zeit, um sie zu bauen. Darum müssen wir nach unserer Weise handeln.«
    »Hat es etwas mit dem Singen zu tun?«
    Jiriki nickte auf seine eigentümlich vogelähnliche Art. »Ja. Unterrichtet Eure Männer. Und sagt ihnen dies: Was immer sie zu sehen oder zu hören glauben – sie kämpfen gegen lebende Wesen. Die Hikeda’ya sind wie Ihr und wir: Sie bluten, und sie sterben.« Er starrte Eolair aus gelassenen goldenen Augen an. »Wollt Ihr ihnen das sagen?«
    »Ja.« Eolair überlief es kalt. Er beugte sich näher ans Feuer, um die Hände über der Glut zu wärmen. »Heute Morgen?«
    Jiriki nickte wieder und stand auf. »Unsere Aussichten sind am besten, solange die Sonne hoch am Himmel steht. Wenn wir Glück haben, ist vor Einbruch der Dunkelheit alles vorbei.«
    Eolair konnte sich nicht vorstellen, wie man das stark befestigte Naglimund in so kurzer Zeit bezwingen sollte. »Und wenn es nicht vorbei ist? Was dann?«
    »Dann wird es … schwierig.« Jiriki trat einen Schritt zurück und verschwand im Nebel.
    Eolair blieb ein Weilchen vor den Kohlen sitzen und biss die Zähne zusammen, damit sie nicht klapperten. Erst als er sicher war, sich selbst keine Schande zu machen, ging er hinüber zu Isorn und weckte ihn.

    Vom frischen Wind gebläht, wogte das graurote Zelt auf der Spitze des Hügels wie ein Segelschiff hoch oben auf einem Wellenkamm. Ein paar andere Zelte teilten die Höhe mit ihm, der große Rest war über den ganzen Hang verstreut oder drängte sich unten im Tal. Dahinter lag der Clodu-See, ein riesiger, blaugrüner Spiegel, still wie ein zufriedenes Tier.
    Vor dem Zelt stand Tiamak, der sich trotz der kalten Brise von dem Anblick nicht losreißen konnte. So viele Menschen, so viel Bewegung, so viel Leben! Es war verwirrend, auf dieses große Menschenmeer hinunterzuschauen, beängstigend, zu wissen, wie nah er den Mühlsteinen der Geschichte war, und doch brachte er es nicht über sich, die Augen abzuwenden. Längst war seine eigene kleine Geschichte von den großen Geschichten aufgesogen worden, von denen Osten Ard jetzt erfüllt war. Manchmal kam es ihm vor, als sei ein Sack, prall voll von ungeheuerlichen Träumen und Albträumen, über der Welt ausgeleert worden. Das Beste, auf das er hoffen konnte, war, dass seine eigenen kleinen Fähigkeiten, Ängste und Wünsche unbeachtet bleiben würden. Ebenso groß war freilich die Wahrscheinlichkeit, dass sie gänzlich zwischen jenen Mühlsteinen zermahlen würden.
    Mit leisem Beben hob er schließlich die Zeltklappe und trat ein.
     
    Anders als er befürchtet hatte, sobald ihm Jeremias die Aufforderung des Prinzen brachte, handelte es sich nicht um einen Kriegsrat. Bei solchen Besprechungen fühlte er sich immer vollständig nutzlos. Diesmal warteten nur wenige auf ihn – Josua, Herr Camaris, Herzog Isgrimnur, die auf Hockern saßen, Vara, von Kissen gestützt auf ihrem Lager, die Sitha Aditu, die mit untergeschlagenen Beinen neben Vara auf dem Boden hockte. Sonst war nur noch der jungeJeremias anwesend, der an diesem Nachmittag offenbar viel zu tun gehabt hatte. Jetzt stand er gerade vor dem Prinzen, schnaufte ein wenig und gab sich Mühe, aufmerksam zuzuhören.
    »Danke für deine Eile, Jeremias«, sagte Josua. »Ich verstehe sehr gut. Bitte geh zu Strangyeard zurück und bitte ihn nachzukommen, sobald er dazu in der Lage ist. Danach kannst du dich ausruhen.«
    »Jawohl, Hoheit.« Jeremias verbeugte sich und lief zum Zelteingang.
    Tiamak, der noch dort stand, lächelte ihm zu. »Ich konnte dich noch nicht fragen, Jeremias: Wie geht es Leleth? Gibt es irgendeine Veränderung?«
    Der junge Mann schüttelte den Kopf. Er versuchte, ruhig zu antworten, aber der Schmerz in seiner Stimme war unverkennbar. »Es ist alles wie vorher. Sie wacht nicht auf. Sie trinkt ein wenig Wasser, aber sie isst nicht.« Er rieb sich heftig die Augen. »Niemand kann etwas für sie tun.«
    »Das tut mir leid«, sagte Tiamak sanft.
    »Ihr könnt nichts dafür.« Jeremias trat unbehaglich von einem Fuß auf den anderen. »Ich muss Vater Strangyeard die Botschaft des Prinzen bringen.«
    »Natürlich.« Tiamak trat zur Seite. Jeremias schlüpfte an ihm vorbei und schoss

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