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Der Engländer

Der Engländer

Titel: Der Engländer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
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hätten. Jugendlich, aber nicht unpassend jung. Anfang Dreißig, höchstens fünfunddreißig.
    Sie schien Petersons sorgfältige Begutachtung zu spüren, denn sie erwiderte seinen Blick mit einem schalkhaften Aufblitzen ihrer grauen Augen. Seine letzte Affäre lag ein gutes halbes Jahr zurück, und er fand, es werde Zeit für eine neue.

    Seine letzte Geliebte war die Ehefrau eines entfernten Kollegen aus der Abteilung Wirtschaftskriminalität gewesen. Diese Affäre hatte Peterson sehr gut gemanagt. Sie war für gewisse Zeit angenehm und lohnend gewesen, und als es dann Zeit geworden war, sich zu trennen, waren seine Geliebte und er ohne Groll oder Bedauern auseinandergegangen.
    Er rang sich trotz seiner Übermüdung ein Lächeln ab. »Der Aufzug kommt bestimmt gleich.«
    »Das glaub ich nicht. Ich wette, daß wir die ganze Nacht hier unten festsitzen.«
    Die Anzüglichkeit ihrer Bemerkung war unmöglich zu überhören. Peterson beschloß mitzuspielen, um zu sehen, wie weit die Sache gehen würde. »Wohnen Sie auch hier?«
    »Mein Freund.«
    »Glauben Sie nicht, daß Ihr Freund Ihnen irgendwann Hilfe schicken wird?«
    »Er ist heute geschäftlich in Genf. Ich übernachte nur in seiner Wohnung.«
    Peterson fragte sich, wer ihr Freund sein mochte und in welcher Wohnung sie übernachten würde. Er gestattete sich, sich ein flüchtiges, viel zu hastiges sexuelles Abenteuer auszumalen. Aber dann machte seine Müdigkeit sich wieder bemerkbar und vertrieb alle Gedanken an eine Eroberung.
    Diesmal war es Peterson, der den Rufknopf des Aufzugs drückte, und Peterson, der einen Fluch murmelte.
    »Der kommt nie mehr.« Sie holte eine Schachtel Zigaretten aus ihrer Lederjacke, nahm eine Zigarette zwischen die Lippen und betätigte ihr Feuerzeug. Als keine Flamme kam, betätigte sie es noch mehrmals und schimpfte dann: »Mist, heute funktioniert einfach nichts.«
    »Oh, bitte sehr.« Aus Petersons Feuerzeug stieg eine lange blaugelbe Flammenzunge auf. Er hielt es mit angewinkeltem Arm hoch, um der Unbekannten Feuer zu geben. Während sie das Ende ihrer Zigarette in die Flamme hielt, lagen ihre Finger leicht auf seinem Handrücken. Das war eine absichtlich intime Berührung, die einen Stromstoß durch seinen Arm zu schicken schien.
    Die Wirkung dieser Geste war so stark, daß Peterson nicht wahrnahm, daß die Frau ihr eigenes Feuerzeug sehr dicht an sein Gesicht hob. Als sie die Taste drückte, die normalerweise Propan austreten ließ, füllte eine Wolke einer süßlich riechenden Chemikalie seine Lunge. Er riß den Kopf hoch und starrte die Frau mit großen Augen an, ohne wirklich zu begreifen, was vor sich ging. Sie ließ die Zigarette achtlos fallen und zog eine Pistole aus ihrer Handtasche.
    Die Pistole war überflüssig, denn die Chemikalie wirkte wie vorgesehen. Peterson bekam sekundenschnell weiche Knie, der kleine Raum schien sich um ihn zu drehen, und dann kam ihm plötzlich der Fußboden entgegen. Er fürchtete, er könnte sich den Kopf anschlagen, aber bevor seine Knie unter ihm einknickten, tauchte hinter ihm ein Mann auf, dem er praktisch in die Arme fiel.
    Während Peterson aus dem Vorraum geschleppt und in einen Lieferwagen gestoßen wurde, gelang es ihm, einen Blick ins Gesicht seines Retters zu werfen. Es wirkte gelehrt wie ein Rabbiner und eigenartig sanftmütig. Peterson wollte sich bei ihm bedanken, aber als er den Mund öffnete, um zu sprechen, verlor er das Bewußtsein.

41 - MALLES VENOSTA, ITALIEN
    Gerhardt Peterson kam sich vor, als tauche er aus den Tiefen eines Bergsees auf. Er stieg durch verschiedene Bewußtseinsebenen, durch kalte und warme Wasserschichten höher und höher, bis sein Gesicht die Wasseroberfläche durchbrach und er wieder frei atmen konnte.
    Er befand sich jedoch nicht in dem Bergsee seiner Träume, sondern in einem Kellerraum mit Terrakottafliesen und grob verputzten weißen Wänden. Über seinem Kopf war ein vergittertes kleines Fenster, das in einen Lichtschacht auf Bodenniveau hinausführte, durch den rötliches Tageslicht einfiel. Einige Augenblicke lang kämpfte er damit, sich in Raum und Zeit zu orientieren. Dann erinnerte er sich an die Schwarzhaarige vor dem Aufzug; ihren Trick mit der Zigarette; ihre Hand auf seiner, als sie ihm ein Betäubungsmittel ins Gesicht sprühte. Das alles war ihm auf einmal peinlich. Wie konnte er nur so schwach gewesen sein? So verwundbar?
    Welche Signale hatte er ausgesandt, daß diese Leute ihn mit einer Frau geködert hatten?
    Seine pochenden

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