Der Engländer
unter Zeitdruck. Gabriels Sachen waren ausgekippt, durchsucht und in wildem Durcheinander in den Koffer zurückgestopft worden. Irgend jemand hatte in seinem Koffer eine Flasche Lösungsmittel verschüttet. Baer zuckte mit den Schultern - Bedaure, guter Mann, solche Dinge passieren eben, wenn man sich mit der Polizei anlegt.
Draußen auf dem nebelverhangenen Innenhof stand eine von einem halben Dutzend Uniformierter bewachte schwarze Mercedes-Limousine. An den Fenstern der umgebenden Gebäude drängten sich Polizisten und Sekretärinnen, um zu sehen, wie der israelische Berufskiller seinen Landsleuten übergeben wurde. Als Gabriel sich dem Wagen näherte, wurde die hintere rechte Tür aufgestoßen, und Schwaden von Zigarettenrauch quollen heraus. Ein Blick auf den wegen der getönten Scheiben düsteren Rücksitz bestätigte, von wem sie stammten.
Er machte abrupt halt, eine Reaktion, die Baer völlig zu überraschen schien. Dann setzte er sich widerstrebend erneut in Bewegung und stieg hinten ein. Baer schloß die Tür, und die Limousine fuhr sofort mit auf dem nassen Kopfsteinpflaster durchdrehenden Rädern davon. Schamron sah ihn nicht an.
Schamron blickte aus dem Fenster; die Augen auf das nächste Schlachtfeld gerichtet, die Gedanken schon beim nächsten Feldzug.
5 - ZÜRICH
Um den Flughafen Zürich-Kloten zu erreichen, mußten sie nach Norden und wieder über den Zürichberg fahren. Auf der Höhe des Bergrückens blieben die eleganten Villen hinter ihnen zurück, und vor ihnen lag eine von häßlichen Einkaufszentren in Modulbauweise entstellte flache Flußebene. Während die Nachmittagssonne sich bemühte, die Wolkendecke zu durchdringen, kamen sie auf der verkehrsreichen zweispurigen Verbindungsstraße zur Autobahn nur langsam voran. Ein Wagen blieb die ganze Zeit hinter ihnen. Der Mann auf dem Beifahrersitz hätte Peterson sein können.
Ari Schamron war in offizieller Funktion nach Zürich gekommen, aber nach Kleidung und Auftreten hatte er die Identität eines gewissen Herrn Heller angenommen, unter dessen Namen er oft in Europa unterwegs war. Rudolf Heller von Heller Enterprises, Ltd., einer international tätigen Risikokapitalfirma mit Niederlassungen in London, Paris, Berlin, Bern und auf den Bahamas. Seine zahlreichen Kritiker hätten sagen können, Heller Enterprises sei auf Mord und Entführung, Erpressung und Verrat spezialisiert. Heller Enterprises sei eine Old-Economy-Firma, sagten die Kritiker.
Was der Dienst am King Saul Boulevard brauche, um seinen langen Winter der Verzweiflung hinter sich zu lassen, sei ein New-Economy-Chef für die New-Economy-Welt. Aber Herr Heller hielt die Schlüssel zur Chefsuite mit seinem patentierten Schraubstockgriff umklammert, und in Israel brachten nur wenige, zu denen auch der Premierminister gehörte, den Mut auf, wenigstens zu versuchen, sie ihm zu entwinden.
Für seine Bruderschaft ergebener Gefolgsleute war Schamron eine lebende Legende. Auch Gabriel hatte einst zu seinen Jüngern gehört. Aber Schamron war außerdem ein Lügner, ein dreister Lügner, der keine Reue kannte. Er log ganz selbstverständlich, er log, weil Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit ihm fremd waren, und er hatte Gabriel immer wieder belogen.
Eine Zeitlang hatte ein Vater-Sohn-Verhältnis sie miteinander verbunden. Aber der Vater war wie ein Mann geworden, der spielt oder trinkt oder mit vielen Frauen schläft und deshalb seine Kinder belügen muß, und jetzt haßte Gabriel ihn, wie nur ein Sohn seinen Vater hassen kann.
»Was machen Sie hier? Warum haben Sie nicht einfach jemanden von unserer Station in Bern vorbeigeschickt, um mich abholen zu lassen?«
»Weil Sie zu wichtig sind, um Sie jemandem von denen anzuvertrauen.« Schamron zündete sich die nächste seiner übelriechenden türkischen Zigaretten an und ließ das Feuerzeug laut zuschnappen. »Außerdem haben Herr Peterson und seine Freunde im Außenministerium auf meinem Kommen als Voraussetzung für Ihre Entlassung bestanden. Den Schweizern macht es Spaß, mich anzubrüllen, wenn einer unserer Agenten in der Bredouille ist. Ich weiß nicht recht, warum. Vermutlich gibt es ihrem Überlegenheitskomplex Nahr ung - läßt sie ihre vergangenen Sünden vergessen.«
»Wer ist Peterson?«
»Gerhardt Peterson arbeitet in der Abteilung Auswertung/Abwehr. «
»Was zum Teufel ist das?«
»Der interne Schweizer Sicherheitsdienst. Zu seinen Aufgaben gehören nationale Sicherheitsfragen, Spionageabwehr und Ermittlungen gegen
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