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Der Engländer

Der Engländer

Titel: Der Engländer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
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Portugiesisch - und das mit starkem Akzent. Carlos, der den Garten ihres Landhauses und den dazugehörigen kleinen Weinberg in Ordnung hielt, dachte, sie habe den Akzent einer Deutschen und die dunkle Seele einer Wiener Jüdin. Maria, die fromme Frau, die ihr den Haushalt führte, hielt sie für eine Holländerin. José vom Fischmarkt vermutete, sie sei Dänin.
    Aber Manuel, Besitzer des Cafés am Dorfplatz und inoffizieller Bürgermeister des Dorfs, entschied auch diese Frage, wie er es meistens tat. » Unsere Liebe Frau ist keine Deutsche, Österreicherin, Holländerin oder Dänin«, verkündete er. Dann rieb er Daumen und Zeige - und Mittelfinger seiner Linken aneinander - das internationale Symbol für Geld. » Unsere Liebe  Frau ist Schweizerin.«
    Ihre Tage verliefen nach einem voraussagbaren Rhythmus.
    Nach ihrem morgendlichen Besuch im Dorf war sie zu sehen, wie sie in ihrem dunkelblauen Swimmingpool ein paar Bahnen schwamm, wobei sie ihr Haar unter einer schwarzen Badekappe versteckte. Danach machte sie eine lange Wanderung, meistens zwischen den zerklüfteten Granitfelsen auf dem Hügelrücken oder den staubigen Pfad zu den maurischen Ruinen hinauf. Am Spätnachmittag begann sie dann in einem kahlen Raum im ersten Stock der Villa Geige zu spielen - nach Berichten von Leuten, die sie gehört hatten, außergewöhnlich gut. Als María einmal einen heimlichen Blick ins Musikzimmer warf, sah sie Unsere Liebe Frau in einem Zustand fieberhafter Erregung: Ihr zuckender Leib wiegte sich im Takt der Musik, ihr Haar war feucht, ihre Augen geschlossen. » Unsere Liebe Frau spielt wie besessen«, erzählte Maria Carlos. »Und nicht etwa vom Blatt.
    Sie spielt auswendig.«
    Nur einmal, zum Fest des Santo Antonio, nahm sie am geselligen Leben des Dorfes teil. Als die Männer die Holzkohlengrills anheizten und die Weinflaschen entkorkten, kam sie in einem ärmellosen weißen Kleid und Sandalen den Hügel herabgeschlendert. Zum ersten Mal war sie nicht allein.
    Ihre Begleitung bestand aus insgesamt vierzehn Personen: einem italienischen Opernsänger, einem französischen Model, einem englischen Filmschauspieler und einem deutschen Maler, die ihre Ehefrauen, Freundinnen und Geliebten mitbrachten. Der Opernsänger und der Filmschauspieler wetteiferten darin, wer die meisten gegrillten Sardinen, das traditionelle Festgericht, essen konnte. Der Opernsänger blieb mühelos Sieger, und der enttäuschte Filmschauspieler versuchte sich damit zu trösten, daß er das Model unbeholfen anmachte. Die Reaktion seiner Frau bestand daraus, ihn mitten auf dem Platz kräftig zu ohrfeigen. Die portugiesischen Dörfler, die noch nie gesehen hatten, wie eine Frau einen Mann schlug, klatschten johlend Beifall, und der Tanz ging weiter. Später waren sich alle einig, die Zigeunerbande aus der Villa auf dem Hügel habe das diesjährige Fest zur amüsantesten Veranstaltung seit Menschen-gedenken gemacht.
    Einzig Unserer Lieben Frau schien das alles keinen Spaß zu machen. Carlos erschien sie wie eine Insel der Melancholie inmitten eines Meeres aus wilden Ausschweifungen. Sie aß eine Kleinigkeit; sie trank etwas Wein, als sei das etwas, das von ihr erwartet wurde. Als der gutaussehende Deutsche sich neben sie setzte und sie mit Aufmerksamkeiten überhäufte, reagierte Unsere Liebe Frau höflich, aber sichtlich desinteressiert. Der Maler gab schließlich auf und machte sich auf die Suche nach anderer Beute.
    Um Mitternacht, als der Trubel eben seinen Höhepunkt erreichte, verließ Unsere Liebe Frau unauffällig das Fest und wanderte allein den Weg zu ihrer Villa auf dem Hügel hinauf.
    Zwanzig Minuten später sah Carlos in einem Zimmer im ersten Stock kurz das Licht aufblitzen. Das war der Raum, in dem Unsere Liebe Frau ihre Violine spielte.
    Da es in jenem Sommer sonst nicht viel zu tun gab, machten die Dörfler sich daran, endlich Namen und Beruf der geheimnisvollen Fremden auf dem Hügel auszukundschaften. Carlos und Maria, die ihr am nächsten waren, wurden eingehend befragt, konnten aber nicht viel Erhellendes berichten. Jeweils zum Monatsanfang erhielten sie ihren Lohn in Form eines Schecks von der Londoner Firma European Artistic Management. Wegen der Sprach-und Klassenbarrieren beschränkten ihre Gespräche mit der Unbekannten sich auf die einfachsten Grußfloskeln.
    Immerhin konnten sie eine wichtige Information liefern: Unsere Liebe Frau war manchmal überraschend für einige Tage abwesend, wofür es keine rechte Erklärung gab. In

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