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Der Engländer

Der Engländer

Titel: Der Engländer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
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wie ihre Beinmuskeln sich bei jedem Schritt anspannten, und dachte an Leah. Er erinnerte sich an eine Wanderung an einem Herbsttag vor fünfundzwanzig Jahren - nur hatte der Weg damals über die Golanhöhen geführt, und die Ruinen stammten von Kreuzrittern. Leah hatte gemalt; Gabriel war gerade aus Europa zurückgekehrt, und die Gespenster der Männer, die er ermordet hatte, hatten seinen Drang zu kreativer Betätigung unterdrückt. Er hatte Leah vor ihrer Staffelei sitzend zurückgelassen und war bis zum höchsten Punkt des Hügels hinaufgestiegen. Über ihm hatten die Befestigungen an der Grenze zu Syrien aufgeragt; unter ihm hatten sich Obergaliläa und die sanften Hügel im Süden des Libanons erstreckt. Er war so in Gedanken verloren gewesen, daß er Leahs Kommen nicht gehört hatte. »Sie werden trotzdem kommen, Gabriel. Du kannst den Rest deines Lebens hier verbringen und sie beobachten - sie werden trotzdem kommen.« Und Gabriel hatte geantwortet, ohne sie anzusehen: »Hätte ich früher in Obergaliläa gelebt und müßte jetzt im Norden in einem Flüchtlingslager im Libanon hausen, würde ich auch zurückkommen.«
    Der leise Knall, mit dem Anna ihre Picknickdecke entfaltete, riß Gabriel aus seinen Erinnerungen. Sie breitete die Decke auf einem Flecken von sonnenbeschienenem Gras aus, wie Leah es an jenem Tag getan hatte, während Gabriel mit einer gewissen Feierlichkeit die Weinflasche entkorkte. Ramis Leibwächter nahmen ihre Positionen ein: der eine oben zwischen den Ruinen, der andere unterhalb des Picknickplatzes auf dem Weg.
    Während Anna das Fleisch von den Hähnchenschenkeln löste, zeigte Gabriel ihr ein Photo des Mannes, der den in einem Aktenkoffer versteckten Sprengsatz in der Galerie Müller zurückgelassen hatte.
    »Haben Sie den schon mal gesehen?«
    Sie schüttelte den Kopf.
    Gabriel steckte das Photo ein. »Sie müssen mir mehr über Ihren Vater erzählen.«
    »Woran denken Sie dabei?«
    »An alles, was mir helfen kann herauszubekommen, wer ihn ermordet und seine Sammlung gestohlen hat.«
    »Mein Vater war ein Schweizer Bankier, Gabriel. Ich kenne ihn als Menschen, aber über seine berufliche Tätigkeit weiß ich nahezu nichts.«
    »Dann erzählen Sie mir von ihm.«
    »Wo soll ich anfangen?«
    »Wie war's mit seinem Alter? Sie sind achtunddreißig?«
    » Siebenunddreißig «, verbesserte sie ihn.
    »Ihr Vater war neunundachtzig. Das ist ein ziemlich großer Altersunterschied.«
    »Dafür gibt es eine einfache Erklärung. Mein Vater war zweimal verheiratet. Seine erste Frau ist im Krieg an Tuberkulose gestorben. Meine Mutter und er haben sich zehn Jahre später kennengelernt. Sie war eine sehr begabte Pianistin.
    Sie hätte öffentlich auftreten können, aber davon wollte mein Vater nichts hören. Seiner Ansicht nach waren Musiker nur wenig besser als Exhibitionisten. Ich frage mich manchmal, wie die beiden überhaupt zusammengefunden haben.«
    »Gibt es Kinder aus der ersten Ehe?«
    Anna schüttelte den Kopf.
    »Und der Selbstmord Ihrer Mutter?«
    »Ich habe damals ihre Leiche entdeckt.« Sie zögerte einen Augenblick, dann sagte sie: »So etwas vergißt man nie. Mein Vater hat uns später erzählt, sie habe schon früher unter Depressionen gelitten. Ich habe meine Mutter sehr geliebt, Gabriel. Wir hatten ein sehr enges Verhältnis zueinander. Meine Mutter war nicht depressiv. Sie hat keine Medikamente genommen, sie war nicht in psychiatrischer Behandlung. Sie war launenhaft, sie war manchmal unbeherrscht, aber sie war nicht die Art Frau, die grundlos Selbstmord begeht. Irgend jemand oder irgend etwas hat sie dazu veranlaßt, sich das Leben zu nehmen. Nur mein Vater kannte den wahren Grund, und er hat ihn vor uns geheimgehalten.«
    »Hat sie einen Abschiedsbrief hinterlassen?«
    »Bei den polizeilichen Ermittlungen wurde keiner gefunden.
    Aber ich habe gesehe n, daß mein Vater etwas an sich genommen hat, das sehr gut ein Abschiedsbrief hätte sein können. Er hat ihn mir nie gezeigt - und der Polizei offenbar auch nicht.«
    »Und der Tod Ihres Bruders?«
    »Das war im Jahr darauf. Mein Vater wollte, daß er in die Bank eintritt und die Familientradition fortfü hrt, aber Max wollte Radrennen fahren. Und genau das hat er getan - übrigens recht erfolgreich. Er war einer der besten Schweizer Radrennfahrer und hat im europäischen Profisport zur Spitzenklasse gezählt. Leider ist er dann bei der Tour de Suisse tödlich verunglückt. Mein Vater war am Boden zerstört, aber ich glaube, er

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