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Der Engländer

Der Engländer

Titel: Der Engländer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
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hat zugleich eine gewisse Genugtuung empfunden.
    Max war gewissermaßen dafür bestraft worden, daß er sich seinen Wünschen widersetzt hatte.«
    »Und Sie?«
    »Ich war mit ihm allein. Die beiden Menschen, die ich von allen am meisten geliebt hatte, waren tot, und ich saß bei einem Mann fest, den ich haßte. Also habe ich mich noch mehr in meine Musik gestürzt. Dieses Arrangement schien uns beide zu befriedigen. Solange ich Musik machte, brauchte mein Vater mich nicht zu beachten. Er konnte ganz ungestört seiner Lieblingsbeschäftigung nachgehen.«
    »Welcher?«
    »Noch mehr Geld scheffeln, was sonst? Der Gedanke an seinen Reichtum hat ihn von jeglicher Schuld losgesprochen.
    Von Beginn meiner Karriere an waren die Leute von meinem Feuer begeistert. Sie konnten nicht ahnen, daß dieses Feuer von Haß und Schmerzen genährt wurde.«
    Das nächste Thema schnitt Gabriel vorsichtig an. »Anna, was wissen Sie über die Aktivitäten Ihres Vaters während des Krieges?«
    »Aktivitäten? Das ist ein interessantes Wort. Was versuchen Sie damit anzudeuten?«
    »Ich wollte gar nichts andeuten. Ich muß nur wissen, ob es in der Vergangenheit Ihres Vaters irgend etwas gibt, das zu seiner Ermordung hätte führen können.«
    »Im Zweiten Weltkrieg war mein Vater als Bankier in der Schweiz tätig.« Ihre Stimme klang plötzlich kalt. »Das macht ihn nicht automatisch zu einem Ungeheuer. Aber über die Aktivitäten meines Vaters während des Krieges weiß ich ehrlich gesagt praktisch nichts. Darüber hat er nie mit uns gesprochen.«

    Gabriel dachte an die Informationen, die Emil Jacobi ihm in Lyon gegeben hatte: Rolfes häufige Reisen nach Hitler-Deutschland; die Gerüchte über Rolfes Beziehungen zu NS-Größen. Hatte Rolfe es wirklich verstanden, all das vor seiner Tochter geheimzuhalten? Gabriel beschloß nachzuhaken - aber behutsam. »Aber Sie hegen bestimmte Vermutungen, nicht wahr, Anna? Sie hätten mich nie nach Zürich mitgenommen, wenn Sie nicht Ihre Zweifel an der Version Ihres Vaters über seine Vergangenheit hätten.«
    »Ich weiß nur eines, Gabriel: Meine Mutter hat ihr eigenes Grab ausgehoben, sich hineingelegt und sich erschossen. Das war eine abscheuliche, rachsüchtige Tat. Und sie muß einen Grund dafür gehabt haben.«
    »War er todkrank?«
    Die Direktheit seiner abschließenden Frage schien sie zu überraschen, denn Anna hob ruckartig den Kopf, als habe er ihr einen Rippenstoß versetzt. »Mein Vater?«
    Gabriel nickte.
    »Auch das sollen Sie wissen, Gabriel: Ja, mein Vater hatte nicht mehr lange zu leben.«
    Als sie aufgegessen hatten, goß Gabriel ihnen den Rest Wein ein und fragte Anna nach den Provenienzen der Bilder.
    »Die liegen im Arbeitszimmer meines Vaters im Schreibtisch eingesperrt.«
    »Das habe ich befürchtet.«
    »Wozu wollen Sie sie sehen?«
    »Ich möchte sehen, wer die Vorbesitzer der einzelnen Gemälde waren. Die Provenienzen könnten einen Hinweis darauf liefern, wer die Bilder gestohlen hat und weshalb Ihr Vater ermordet wurde.«
    »Oder vielleicht sind sie in dieser Beziehung auch wertlos.
    Und denken Sie immer daran: Mein Vater hat alle diese Bilder legal erworben. Sie haben ihm gehört, auch wenn Sie in den Provenienzen irgendwelche Unstimmigkeiten entdecken sollten.«
    »Ich möchte sie trotzdem sehen.«
    »Gut, ich zeige Ihnen, wo sie liegen.«
    »Nein, Sie sagen mir, wo sie zu finden sind, und ich hole sie und bringe sie hierher mit. Sie können jetzt nicht nach Zürich.«
    »Warum nicht?«
    »Weil das gefährlich wäre. Womit wir beim nächsten Thema wären.«
    »Nämlich?«
    »Ihr Konzert in Venedig.«
    »Das sage ich auf keinen Fall ab.«
    »Ein öffentlicher Auftritt wäre jetzt zu riskant.«
    »Mir bleibt keine andere Wahl. Halte ich diese Verpflichtung nicht ein, ist meine Karriere beendet.«
    »Die Leute, die Ihren Vater ermordet haben, haben überdeutlich klargemacht, daß sie alles tun würden, um zu verhindern, daß wir sie identifizieren. Dazu gehört auch, Sie gegebenenfalls zu ermorden.«
    »Dann müssen Sie einfach sicherstellen, daß ihnen das nicht gelingt, aber ich gebe nächste Woche dieses Konzert, und Sie können mich nicht daran hindern!«
    Bleigraue Haufenwolken hatten sich über dem Atlantik gebildet und zogen rasch landeinwärts. Ein kalter Wind kam auf und heulte um die Ruinen. Anna zitterte in der plötzlichen Kälte und verschränkte die Arme unter der Brust, während sie das heraufziehende Unwetter beobachtete. Gabriel packte eilig die Reste ihres

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