Der Engländer
war - vielleicht Chef und Zahlmeister von Schellenbergs Agentenring.«
Lavon steckte den Überweisungsbeleg in den Stapel zurück und zog einen anderen heraus. Während er ihn durch seine Halbbrille hindurch begutachtete, kniff er wegen des von der Zigarette in seinem Mundwinkel aufsteigenden Rauchs die Augen zusammen.
»Eine weitere Überweisung: tausend Pfund Sterling von Pillar Enterprises Limited aufs Konto eines gewissen Jose Suarez bei der Bank von Lissabon.« Lavon ließ das Blatt sinken und sah zu Gabriel hinüber. »Portugal war wie Schweden neutral, und Lissabon war ein Vergnügungspark für Spione. Schellenberg hat während des Komplotts zur Entführung des Herzogs von Windsor selbst in Lissabon operiert.«
»Gut, Rolfe war also Schellenbergs Geheimbankier. Aber wie erklärt das die Aufnahme, die ihn mit Hitler und Himmler auf dem Berghof zeigt?«
Lavon bereitete sich seine nächste Tasse Kaffee genießerisch nach Wiener Art zu: mit genau der richtigen Menge Sahne und eben genug Zucker, um den bitteren Geschmack wegzunehmen.
Gabriel erinnerte sich an Lavon in einer sicheren Wohnung in Paris, wo er von Mineralwasser und schwachem Tee lebte, weil sein kranker Magen nichts anderes vertrug.
»In Deutschland hat sich nach Stalingrad alles grundlegend verändert. Selbst die überzeugten Nazis wußten, daß alles vorbei war. Die Russen kamen aus dem Osten, eine Invasion im Westen war unvermeidlich. Alle, die als Kriegsgewinnler Reichtümer angehäuft hatten, wollten sie unbedingt in Sicherheit bringen. Und an wen haben sie sich deiner Ansicht nach hilfesuchend gewandt?«
»An die Schweizer Bankiers.«
»Und Augustus Rolfe dürfte sich in einzigartig günstiger Position befunden haben, um vom Wechsel des Kriegsglücks zu profitieren. Aus diesen Unterlagen scheint hervorzugehen, daß er ein wichtiger Agent Schellenbergs war. Ich vermute, daß die Nazibonzen unseren Herrn Rolfe aus Zürich sehr geschätzt haben.«
»Als jemanden, dem sie ihr Geld anvertrauen konnten?«
»Ihr Geld. Ihre geraubten Schätze. Einfach alles.«
»Was ist mit der Liste von Namen und Kontonummern?«
»Ich denke, wir können voraussetzen, daß es sich dabei um deutsche Kunden handelt. Ich lasse sie mit unserem Datenbestand vergleichen, um zu sehen, ob sie bei der SS oder der NSDAP waren, aber ich vermute, daß es sich um Pseudonyme handelt.«
»Müßten in den Unterlagen der Bank weitere Informationen über diese Konten zu finden sein?«
Lavon schüttelte den Kopf. »Die wahre Identität der Inhaber von Nummernkonten kennen üblicherweise nur die Spitzenmanager der jeweiligen Bank. Je anrüchiger der Kunde ist, desto weniger Mitarbeiter wissen, wem das betreffende Konto gehört. Sollten diese Konten Nazis gehört haben, bezweifle ich, daß außer Rolfe noch jemand ihre wahre Identität gekannt hat.«
»Bedeutet die Tatsache, daß er diese Liste über Jahrzehnte hinweg aufbewahrt hat, daß die Konten noch existieren?«
»Das wäre immerhin denkbar. Entscheidend dürfte sein, wer der jeweilige Inhaber war. Ist es ihm bei Kriegsende gelungen, ins Ausland zu flüchten, bezweifle ich, daß sein Konto noch aktiv ist. Ist der Inhaber jedoch von den Alliierten geschnappt worden…«
»… dann könnten sein Geld und sonstige Vermögenswerte noch im Tresor von Rolfes Bank liegen.«
»Möglich, aber unwahrscheinlich.«
Lavon schob die Photos und Schriftstücke sorgfältig zusammen und steckte sie wieder in den Umschlag. Dann sah er zu Gabriel hinüber. »Ich habe alle deine Fragen beantwortet«, stellte er fest. »Ich finde, jetzt wird's Zeit, daß du mir ein paar beantwortest.«
»Was willst du wissen?«
»Mich interessiert eigentlich nur eines«, sagte Lavon und hielt den Umschlag hoch. »Wie zum Teufel bist du an Augustus Rolfes Geheimpapiere gekommen?«
Lavon hatte eine große Vorliebe für gute Geschichten. So war es schon immer gewesen. Während des Unternehmens gegen den Schwarzen September hatten sie gemeinsam unter Schlaflosigkeit gelitten: Lavon wegen seines Magenleidens, Gabriel wegen seiner Gewissensbisse. Gabriel erinnerte sich daran, wie Lavons ausgemergelte Gestalt im Schneidersitz vor ihm auf dem Boden gesessen und ihn gefragt hatte, wie es sei, einen Menschen zu töten. Und Gabriel hatte es ihm erzählt - weil er es irgend jemandem erzählen mußte. »Es gibt keinen Gott«, hatte Lavon gesagt. »Es gibt nur Schamron. Er entscheidet, wer leben und wer sterben soll. Und er schickt Jungs wie dich aus, um seine
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