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Der Engländer

Der Engländer

Titel: Der Engländer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
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vor neutralem Hintergrund ein halbes Dutzend Aufnahmen von Anna und legte die Photos nebeneinander aufs Bett, damit Gabriel sie begutachten konnte. Als die Bilder fertig entwickelt waren, tippte Gabriel auf eines und sagte: »Das hier.«

    Die junge Frau schüttelte den Kopf. »Nein, dieses hier, finde ich.«
    Sie schnappte sich das Photo, ohne Gabriels Einwilligung abzuwarten, und verschwand damit wieder im Bad. Anna setzte sich an den Toilettentisch und studierte lange ihre gänzlich verwandelte Erscheinung.
    Zwanzig Minuten später kam Hannah aus dem Bad. Sie zeigte ihre Arbeit Gabriel, dann ging sie durchs Zimmer und ließ den Reisepaß vor Anna auf den Toilettentisch fallen. »Meinen Glückwunsch, Frau Rolfe. Sie sind jetzt Österreicherin.«

29 - ZÜRICH
    Auf halbem Weg zwischen Hauptbahnhof und Zürichsee liegt der Mittelpunkt der Schweizer Bankenlandschaft, der Paradeplatz. Die beiden Zentralen der Credit Suisse und der Union Bank of Switzerland starren einander über ein Meer aus grauen Platten hinweg wie Preisboxer an. Diese zwei sind die Giganten der Schweizer Bankenwelt und gehören zu den weltweit größten Banken. In ihrem Schatten stehen entlang der Bahnhofstraße weitere Großbanken und Geldinstitute, deren Standorte durch glänzend polierte Firmenschilder und polierte Glastüren klar bezeichnet sind. Aber in den ruhigen Seitenstraßen und Gassen zwischen Bahnhofstraße und dem Flüßchen Sihl liegen die Banken, die kaum jemandem auffallen.
    Sie sind die Privatkapellen der Schweizer Bankenwelt: Orte, an denen Männer unter absoluter Geheimhaltung beten oder beichten können, ohne jemals peinliche Enthüllungen fürchten zu müssen. Nach Schweizer Recht dürfen solche Institute keine Kundenwerbung betreiben. Auf eigenen Wunsch können sie als Banken firmieren, sind aber nicht dazu verpflichtet. Sie sind schwer zu finden und leicht zu verfehlen, denn sie residieren versteckt im Innern moderner Bürogebäude oder in den Räumen jahrhundertealter Stadthäuser. Manche beschäftigen mehrere Dutzend Angestellte, andere nur eine Handvoll. Sie sind Privatbanken im wahrsten Sinn des Wortes. Und genau dort begannen Gabriel Allon und Anna Rolfe, die morgens von Wien nach Zürich geflogen waren, am nächsten Vormittag ihre Suche.
    Anna hängte sich bei Gabriel ein und zog ihn mit sich die Bahnhofstraße entlang. Dies war ihre Stadt; hier gab sie den Ton an. Gabriel achtete darauf, ob die Gesichter der entgegen-kommenden Passanten verrieten, daß Anna ihnen irgendwie bekannt vorkam. Wenn sie irgendwo hätte erkannt werden müssen, dann hier in Zürich, in ihrer Heimatstadt. Aber auch wenn einige Männer sie bewundernd anstarrten, schien niemand die berühmte Musikerin wiederzuerkennen. Hannah Landaus rasche Umgestaltung schien zu funktionieren.
    »Wo fangen wir an?« fragte Gabriel.
    »Wie die meisten Schweizer Bankiers hatte mein Vater berufliche Konten bei anderen Schweizer Banken.«
    »Korrespondenzkonten?«
    »Genau«, bestätigte Anna. »Wir fangen mit den Banken an, von denen ich weiß, daß er mit ihnen in Geschäftsverbindungen gestanden hat.«
    »Und wenn das Konto nicht in Zürich ist? Wenn es zum Beispiel in Genf ist?«
    »Mein Vater war durch und durch Züricher. Er hätte nicht im Traum daran gedacht, sein Geld oder andere Vermögenswerte einem Franzosen in Genf anzuvertrauen.«
    »Selbst wenn wir das Konto finden, haben wir keine Garantie dafür, daß wir Zugang dazu erhalten.«
    »Das ist wahr. Andererseits richten Bankiers die Konten nur so geheim ein, wie der Kunde es wünscht. Vielleicht genügt schon die Angabe der Kontonummer. Vielleicht brauchen wir ein Kennwort. Vielleicht weist man uns die Tür. Aber das ist einen Versuch wert, nicht wahr? Komm, wir fangen gleich dort drüben an.«
    Anna bog ohne Vorwarnung scharf rechts ab, rannte vor einer heranrasenden Tram über die Bahnhofstraße und zog Gabriel an der Hand mit sich. Dann führte sie ihn in eine kleinere Straße, die Bärengasse, und blieb dort vor einer schlichten Tür stehen.
    Über dem Eingang war eine Überwachungskamera angebracht, und in die Mauer neben dem Türrahmen war ein Messingschild eingelassen, das in seinen dezenten Abmessungen fast unsichtbar war: 
    HOFFMANN & WECK, BÄRENGASSE 43.

    Sie klingelten und warteten darauf, eingelassen zu werden.
    Fünf Minuten später waren sie wieder auf der Straße und zur nächsten Bank auf Annas Liste unterwegs. Dort dauerte der Auftritt geringfügig länger - nach Gabriels Schätzung

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