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Der Engländer

Der Engländer

Titel: Der Engländer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
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fastet, daß ihr hadert und zanket und schlaget mit gottloser Faust.« Meine Besitzgier während des Krieges war so grenzenlos, wie es meine Schuldgefühle jetzt sind. Im Tresor dieser Bank liegen sechzehn Gemälde. Sie stellen den Rest meiner Geheimsammlung dar. Bitte verlassen Sie die Bank nicht, ohne sie mitzunehmen. In der Schweiz gibt es Leute, die unbedingt wollen, daß die Vergangenheit dort bleibt, wo sie jetzt ist - in Banktresoren begraben -, und die vor nichts zurückschrecken, um ihr Ziel zu erreichen. Sie halten sich für Patrioten, für Hüter der Schweizer Ideale von Neutralität und wehrhafter Unabhängigkeit. Außenstehenden, vor allem solchen, die ihrer Ansicht nach ihr Überleben gefährden könnten, stehen sie kompromißlos f eindselig gegenüber. Diese Männer habe ich einst für Freunde gehalten - ein weiterer meiner vielen Fehler. Leider haben sie irgendwie von meiner Absicht erfahren, die Sammlung aufzulösen und die Bilder zurückzugeben. Sie haben einen Mann vom Sicherheitsdienst hergeschickt, der mich einschüchtern sollte. Wegen seines Besuchs schreibe ich diesen Brief. Wegen seiner Auftraggeber bin ich jetzt tot.
    Zuletzt noch eine Bitte: Falls Sie mit meiner Tochter Anna in Verbindung stehen, sorgen Sie bitte dafür, daß ihr nichts zustößt. Sie hat wegen meiner Torheit schon genug zu leiden gehabt.
     
    Mit vorzüglicher Hochachtung
    Augustus Rolfe
     
    Der kleine Bankier wartete draußen im Vorraum. Als Gabriel ihm durch die Glastür ein Zeichen machte, kam er ins Besprechungszimmer. »Kann ich Ihnen behilflich sein?«
    »Wann ist der letzte Zugriff auf dieses Konto erfolgt?«
    »Bedaure, diese Information ist vertraulich«, sagte Herr Becker steif.
    »Wir müssen ein paar Dinge mitnehmen«, sagte Anna.
    »Haben Sie vielleicht eine große Tragetasche für uns?«
    »Leider nicht. Wir sind eine Bank, kein Kaufhaus.«
    »Können wir die Stahlkassette haben?«
    »Dafür wäre eine Gebühr zu entrichten.«
    »Kein Problem.«
    »Eine ziemlich beträchtliche Gebühr.«
    Anna deutete auf die Geldscheinbündel, die vor ihr aufgestapelt lagen.
    »Welche Währung hätten Sie am liebsten?«

30 - ZÜRICH
    In einer Bäckerei am nördlichen Stadtrand telefonierte Gabriel und kaufte ein Dinkelbrot. Als er zu ihrem Wagen zurückkam, las Anna gerade nochmals den Brief, den ihr Vater in der Nacht vor seiner Ermordung geschrieben hatte. Ihre Hände zitterten sichtbar. Gabriel ließ den Motor an und ordnete sich wieder in den Verkehrsfluß ein. Anna faltete den Brief zusammen, steckte ihn in den Umschlag zurück und legte ihn wieder in die Depotkassette. Die zweite Stahlbox mit den Gemälden lag hinter ihnen auf dem Rücksitz. Gabriel schaltete die Scheibenwischer ein, weil es zu regnen begann. Anna lehnte den Kopf ans Fenster und beobachtete, wie die Wassertropfen über die Scheibe liefen.
    »Wen hast du angerufen?«
    »Wir werden Hilfe brauchen, wenn wir das Land verlassen wollen.«
    »Warum? Wer will uns daran hindern?«
    »Dieselben Leute, die deinen Vater ermordet haben. Und Werner Müller. Und Professor Jacobi.«
    »Wie wollen sie uns aufspüren?«
    »Du bist heute morgen mit deinem eigenen Paß eingereist. Dann hast du diesen Wagen unter deinem richtigen Namen gemietet. Zürich ist nicht besonders groß. Wir sollten davon ausgehen, daß sie wissen, daß wir in der Schweiz sind und daß jemand uns im Bankenviertel erkannt hat - trotz deiner neuen Aufmachung.«
    »Wer sind sie, Gabriel?«
    Er dachte an Rolfes Brief. In der Schweiz gibt es Leute, die unbedingt wollen, daß die Vergangenheit dort bleibt, wo sie jetzt ist - in Banktresoren begraben  -, und vor nichts  zurückschrecken, um ihr Ziel zu erreichen.

    Was zum Teufel hatte der Alte damit sagen wollen? In der Schweiz gibt es Leute… Rolfe hatte genau gewußt, wer diese Leute waren, aber selbst angesichts seines Todes hatte der verschlossene alte Schweizer Bankier nicht allzuviel preisgeben wollen. Trotzdem gab es ausreichend Hinweise und Indizien-beweise. Durch Kombinationen und wohlbegründete Vermutungen würde Gabriel vielleicht die Lücken ausfüllen können, die der Alte gelassen hatte.
    An dieses Problem ging er instinktiv so heran, als handle es sich um ein Gemälde, das restauriert werden müsse - um ein Gemälde, von dem im Lauf der Jahrhunderte bedauerlicherweise größere Teile verlorengegangen waren. Er dachte an einen Tintoretto, den er wiederhergestellt hatte, eine Taufe Christi, die der venezianische Maler für eine

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